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Marktanalyse: Globale Aktienmarkt-Rally – kann 2024 an 2023 anschließen?

Helge Rechberger

Nach einem fürchterlichen Kapitalmarktjahr 2022, in dem sogar Anleihen Hand in Hand mit Aktien Kursverluste hinnehmen mussten, ging es 2023 wieder fulminant aufwärts. Zum einen sorgte die sinkende Inflation dafür, dass die Erwartungen auf eine noch länger andauernde Zinshochphase zurückgingen und Hoffnungen auf einen baldigen Startschuss für Zinssenkungen seitens der Zentralbanken aufkamen. Zum anderen zeigte sich die Wirtschaft robuster als zu Beginn des Vorjahres befürchtet. All das wurde per Jahresende 2023 durch eine Reihe von bedeutenden Aktienindizes mit Jahres- oder Allzeit-Höchstständen quittiert. Aber kann es in diesem Stil weitergehen?

Gerade in der ersten Jahreshälfte wird wohl die Erwartungshaltung des Marktes in Sachen Zinssenkungen weiter den Ton angeben. Mit vielfach schneller als erwartet zurückgegangenen Inflationsraten wurde von den Marktteilnehmern schon frühzeitig auf ein baldiges Ende des „Höher-für-länger“-Narrativs der Notenbanken spekuliert – was in der Spitze dazu geführt hat, dass der Markt für die USA und die Eurozone Zinssenkungen im Ausmaß von rund 150 Basispunkten im Jahresverlauf von 2024 gepreist hat. Wir sind der Meinung, dass dies zu aggressiv ist. Wir gehen derzeit lediglich von Leitzinssenkungen in der Größenordnung von insgesamt 75 Basispunkten seitens der Fed und 50 Basispunkten seitens der EZB in 2024 aus, welche auch erst zu einem späteren Zeitpunkt beginnen werden als der Markt antizipiert. Dennoch wird sich das veränderte Zinsumfeld aus unserer Sicht in Summe positiv auf die Aktienmärkte auswirken. Sprach man vor einem halben Jahr noch von möglichen weiteren Zinserhöhungen, so geben nun Diskussionen über den Zeitpunkt und das Ausmaß von Zinssenkungen den Takt vor.

Einen ebenso unterstützenden Faktor stellen die Gewinnerwartungen an die Unternehmen dar. Nach drei Jahren in Folge mit Rekordgewinnen dürften die Unternehmensgewinne im S&P 500 aus aktueller Konsensus-Sicht heuer noch einmal um knapp 11 % weiter ansteigen, jene des Euro STOXX 50 immerhin um gut 3 %. Noch etwas favorabler sehen die erwarteten Dividendenrenditen aus, die in einigen der wichtigsten europäischen Indizes bei deutlich über 3 % liegen, im ATX sogar bei über 5 %. 

Bei den gegebenen hohen Indexständen und der in Summe sehr guten Gewinnsituation stellt sich in der Folge natürlich die Frage nach den Bewertungs-Niveaus. Hier muss man ganz klar zwischen den USA und Europa unterscheiden. So liegt das für das Gesamtjahr 2024 erwartete Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) des S&P 500 derzeit bei 20 und somit deutlich über dem langfristigen Durchschnitt von 15. In Europa stellt sich etwa der Dax  mit einem KGV von rund 11,5 deutlich günstiger dar. Zudem liegt die Bewertung des DAX zurzeit sogar unter dem eigenen langfristigem Durchschnitt von 13. Wir sehen aus diesem Faktor heraus aber keinen starken Unterstützungsfaktor für die europäischen Märkte, sondern lediglich eine tendenzielle Chance auf Bewertungsaufbau. In den USA sehen wir für den breiten Markt hingegen durch die relativ hohen Bewertungen einen gewissen Deckel nach oben gegeben. Ebenfalls „belastend“ wirken weiterhin die Anleihenmärkte, welche immer noch mit recht hohen Renditen – etwa von rund 4 % für 10-jährige US-Staatsanleihen – in Sachen relative Attraktivität wieder eine Konkurrenz zum Aktienmarkt darstellen, die wir lange Zeit gar nicht mehr kannten. 

In Summe bleiben wir jedoch ganz klar optimistisch in unserer Einschätzung zur zukünftigen Entwicklung der Aktienmärkte. Das sich insbesondere in den USA immer mehr materialisierende Soft-Landing Szenario, früher oder später beginnende Zinssenkungen sowie ein solides Gewinnwachstum auf aggregiertem Level sollten den Indizes auf Jahresendsicht ein Fundament für weitere Anstiege bereitstellen. Kurzfristig ergeben sich jedoch durchaus noch diverse Risiken, etwa durch den einen oder anderen enttäuschenden Konjunkturdatenpunkt oder die Notwendigkeit einer weiteren Normalisierung (zu) heiß gelaufener Zinssenkungsfantasien des Marktes, welche die globalen Aktienindizes zwischenzeitlich belasten könnten. Für den ATX erwarten wir im laufenden Jahr überdurchschnittliches Potenzial. Dieses ergibt sich zum einen aus der Sektorzusammensetzung, welche im ATX ein hohes Gewicht an Energietiteln vorweist, die von den von uns erwarteten höheren Ölpreisen profitieren sollten, zum anderen durch eine günstige Bewertung, die die Chance auf Bewertungsanstiege beinhaltet.


Autor:
Mag. Helge Rechberger, CEFA
Senior Aktienmarktanalyst
Raiffeisen Research / Raiffeisen Bank International
11. Jänner 2024

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