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Israel: Folgt dem Krieg ein Wirtschaftswunder?

Tibor Pásztory | Börsen-Kurier 

Die Wirtschaft leidet unter dem Krieg, Chancen auf Erholung bestehen aber.

Über den Gaza-Krieg und seine militärischen, politischen und menschlichen Aspekte wird täglich berichtet. Weniger öffentlich beleuchtet werden die Folgen für die israelische Volkswirtschaft.

Mit dem Terrormassaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 sowie der militärischen Reaktion Israels fällt so gut wie das gesamte vierte Quartal des abgelaufenen Jahres in die Zeit des Gaza-Krieges. Dies macht sich in einem unübersehbaren Konjunkturrückgang bemerkbar. Wie der internationale Kreditversicherer Coface in einer Studie feststellt, schrumpfte die israelische Wirtschaft - mehr als erwartet - im vierten Quartal im Vergleich zu Q4/2022 um 5,2 %, der private Konsum sogar um 7,5 %. Die Investitionstätigkeit - traditionell eine der Säulen der Tech-getriebenen israelischen Wirtschaft - brach um ein gutes Viertel ein, die Hälfte davon betrafen Investitionen der öffentlichen Hand. Auch der Handel leidet import- (minus 13 %) wie exportmäßig (minus 5 %) unter dem Krieg.

Boom durch Wiederaufbau

So weit, so nicht wirklich überraschend. Oder doch? Schließlich gilt der Krieg seit der Antike als Vater aller Dinge, wie bereits der griechische Philosoph Heraklit (550 bis 460 v. Chr.) vermerkte. Beispiele gibt es auch in jüngerer Zeit zur Genüge, wie etwa die Ära des Wirtschaftswunders in Europa, allen voran Deutschland, während und nach dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg oder zum Beispiel der Koreaboom nach dem Koreakrieg 1950 bis 1953. Die Logik hinter solchen Booms ist leicht zu durchschauen, denn hier handelt es sich um Wiederaufbau nach entsprechender Zerstörung (in Großbritannien wurde von der Zerstörung Coventrys abgesehen zu wenig zerstört und daher nach dem Krieg zu wenig wiederaufgebaut, daher fand dort kein Wirtschaftswunder statt).

Ein anderes Beispiel liefert uns das gegenwärtige Russland Vladimir Putins, das trotz oder wegen des Ukrainekrieges 2023 ein Wirtschaftswachstum von 3,5 % erreicht haben will. Doch bei diesen Angaben ist Vorsicht geboten, denn erstens stammen diese von gewiss nicht propagandafreier russischer Seite, und zweitens findet der Krieg nicht auf russischem Boden statt. Aber immerhin: eine Umstellung auf Kriegswirtschaft, d.h. eine Konzentration auf die Rüstungsindustrie, galt schon immer als Wachstumstreiber (bzw. Rezessionsmilderung).

Zurück zu Israel

Hier zeigt sich ein Phänomen, das sich in Europa bereits in den beiden Weltkriegen als brandgefährlich erwiesen hatte. In beiden Fällen befand sich ein Großteil der männlichen Bevölkerung an der Front, worauf diese Arbeitskräfte in der Wirtschaft - etwa bei der Ernte - fehlten und die Wirtschaft kollabierte (im Falle Österreich-Ungarns 1918 gleich der ganze Staat). Im Falle Israels, wo 350.000 Reservisten einberufen worden sind, handelt es sich immerhin um 4 % der Gesamtbevölkerung. Verstärkt wird die Misere noch durch weitere einschränkende Maßnahmen der israelischen Regierung (oder in manchen Fällen durch selbstermächtigte israelische Siedler) gegenüber palästinensischen Arbeitskräften aus dem Westjordanland mit desaströsen Folgen für die Bau- und Landwirtschaft. In solch einem Klima kommt begreiflicherweise auch jeglicher Tourismus zum Erliegen, und die einheimische Bevölkerung beginnt beim Konsum zu sparen.  

Doch ganz ohne zumindest branchenspezifischem „Kriegsboom“ geht es auch in vorliegendem Fall nicht, hat doch die israelische Regierung einen Nachtragshaushalt von 8 MrdUSD beschlossen und das israelische Verteidigungsministerium seine Ausgaben in Q4/2023 im Vergleich zum dritten Quartal um 4 % erhöht. Dies sollte sich jedenfalls konjunkturrückgangsmildernd auswirken, schätzt man bei Coface ein. Nicht unbeachtet sollte dabei die hohe Bedeutung des israelischen Tech-Sektors sein, einer konkurrenzlosen Start-up-Kultur, die traditionell dem israelischen Militär zuarbeitet.

Kompensationen

Welche Hoffnungen kann sich also die israelische Wirtschaft auf eine Erholung machen? Auf der positiven Seite ist ein nach wie vor komfortabler Leistungsbilanzüberschuss zu erwähnen. Coface schätzt, dass High-Tech-Produkte aus den Bereichen Verteidigung und Cybersicherheit die fehlenden Tourismuseinnahmen kompensieren könnten. Ob die Angriffe der Houthi-Rebellen auf die internationale Seefahrt im Roten Meer dem israelischen Außenhandel ernsthaft schaden könnten, scheint hierbei noch nicht absehbar, ist aber laut der Coface-Studie immerhin als Möglichkeit in Betracht zu ziehen, ebenso wie eine Ausweitung des Kriegs auf weitere Player im nahöstlichen Raum, wie die Hisbollah oder den Iran. Auch die negativen Auswirkungen des Kriegs auf diplomatischer Ebene wie das Aussetzen der Annäherung Israels und Saudi-Arabiens oder die Verschlechterung der Beziehungen zu Jordanien sind nicht als positive Vorzeichen zu nennen. 

Auch weist die Studie darauf hin, dass das Wachstum bereits vor dem Krieg bei weitem nicht die durchschnittlichen Raten von 3,8 % der Jahre 2015 bis 2019 aufweisen konnte. Dies sei allerdings vor allem auf die Zinserhöhungen zurückzuführen gewesen, die die israelische Zentralbank ebenso durchgeführt hatte wie die EZB. Solange dies so bleibe, erwartet die Studie klar und deutlich nur ein langsames und bescheidenes Wachstum. 

Fazit

In diesem Sinne sollte aus historischer Sicht nochmals auf die erwähnten Boomphasen nach der Beendigung von Kriegen zurückgekommen werden. Erstens ist selbst bei einem dauerhaften Waffenstillstand so lange nicht von Frieden zu reden, bis eine politische Lösung für die Palästinenserfrage umgesetzt wird. An der sind beide Kriegsparteien allerdings in seltener Einigkeit nicht interessiert. Und zweitens befindet sich das große Wiederaufbaupotenzial, das, wie erwähnt, Deutschland, Südkorea oder Japan zu Wirtschaftswundern verholfen hat, im Gazastreifen, einem Gebiet, an dessen Wiederaufbau weder Israel noch sonst ein Land großes Interesse zeigt. Es sei denn vielleicht, der Iran - der Erzfeind Israels schlechthin - wittert hier eine Chance, Einfluss zu gewinnen. Aber das böte gleich genügend Stoff für die nächsten Konflikte.

 

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