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Erste Abkühlungstendenzen

Michael Kordovsky | Börsen-Kurier

Liegt der konjunkturelle Zenit bereits hinter uns?

Befragt man Konsumenten und Führungskräfte über laufende und erwartete Aktivitäten, so vernehmen die Interviewer vermehrt ein „Jammern auf hohem Niveau“. Nach Rekordzuwächsen in diversen Einkaufsmanagerindizes, die nichts anderes sind als eine skalierte Darstellung von Umfrageergebnissen in der Wirtschaft, zeigte sich in den vergangenen drei bis vier Wochen eine zunehmende Verlangsamung der Dynamik. Zwar ist noch von hohem Wachstumsniveau in den USA und China auszugehen, aber es gibt gewisse Engpassfaktoren, die sich weltweit bemerkbar machen, nämlich: Lieferengpässe bei Vorprodukten und Rohstoffen infolge von Lieferkettenunterbrechungen und gleichzeitig ein zunehmender Personalmangel. Darüber hinaus explodieren mangels Frachtcontainer die Seefrachtraten und im Einklang mit steigenden Öl- und Rohstoffpreisen verteuern sich die Erzeuger- und Verbraucherpreise.

Wirtschaftliche Aktivitäten verlangsamen sich

Diverse Aktivitätsindikatoren in den USA sprechen diesbezüglich eine klare Sprache: Einer davon setzt sich aus 85 Wirtschaftsindikatoren zusammen, die den Datengruppen Produktion und Einkommen; Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Arbeitsstunden; persönlicher Konsum und Wohnungsbau; sowie Verkäufe, Aufträge und Lagerbestände zuzuordnen sind. Positive Werte des Index bedeuten ein Wachstum über dem Trend und negative darunter. Es ist der „Chicago Fed National Activity Index“, der von Mai auf Juni von 0,26 auf 0,09 Punkte und im gleitenden Dreimonats-Schnitt von 0,80 auf 0,06 zurückging. Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass die Erholungsdynamik nach der Pandemie bereits im zweiten Quartal ihren Höhepunkt erreicht hat.

Wirft man einen Blick auf den vorab ausgewerteten „IHS Markit Flash U.S. Composite PMI™“, der Herstellung und Dienstleistung abdeckt, zeigten sich im Herstellungsindex zwar neue Rekordstände, aber: Der Service-Sektor erlebte den schwächsten Zuwachs der Auftragseingänge seit fünf Monaten. Hinzu kommt eine Knappheit an Arbeitskräften in der Dienstleistung. 

Generell verschlechterten sich die Zukunftserwartungen der Unternehmen in den USA auf ein Sieben-Monats-Tief, wofür Lieferengpässe, Personalknappheit und unsichere Auftragseingänge bei Dienstleistern verantwortlich sind. Somit ist es nicht weiter verwunderlich, dass der „IHS Markit Flash U.S. Composite PMI Output Index“ (kombiniert Produktion und Aktivitäten im Dienstleistungsbereich) das niedrigste Wachstumsniveau seit vier Monaten signalisierte. 

Eingetrübte Erwartungen der US-Konsumenten zeigt indessen ein von der Uni Michigan erstellter Index. Allerdings befindet sich das Ausgangsniveau der Abkühlung auf hohem Level.

Getrübte Aussichten

In China kühlte sich das BIP-Wachstum im Einklang mit den Erwartungen vom ersten auf das zweite Quartal von 18,3 auf 7,9 % ab, während der „Caixin Markit Service“-Einkaufsmanagerindex im Juni ein 14-Monats-Tief markierte. In Japan senkte indessen die Bank of Japan ihren Wachstumsausblick 2022 von 2,7 auf 2,4 %. Begründung: Die Pandemie bleibt ein Risikofaktor. Derzeit zeigt sich auch ein gewisser Zusammenhang zwischen globaler Ausbreitung der Corona-Delta-Variante und rückläufigen Anleihen-Renditen, und immer wieder kommt es zu (bis dato noch leichten) Irritationen an den Aktienmärkten.

Wie sieht es dann in Europa aus? 

Im Euroraum deuten vorab ausgewertete Umfrageergebnisse für Juli auf das stärkste Wirtschaftswachstum der Privatwirtschaft (Produktion und Dienstleistung) seit 21 Jahren hin. Der Auftragseingang verzeichnete insgesamt den stärksten Zuwachs seit Mai 2020. Allerdings sorgen Lieferverzögerungen und explodierende Inputpreise im Industriebereich für Störfrequenzen. Auch droht die Delta-Variante die Geschäftsaussichten zu trüben. Somit fiel der vorläufige Einkaufsmanagerindex für die Industrie bereits auf ein Vier-Monatstief.

Fazit

Erste Verunsicherungen am Aktienmarkt, die Gefahr einer Preis-Kosten-Schere für Unternehmen, die Ausbreitung der Delta-Variante und die globalen Abkühlungstendenzen auf breiter Front sollten ernst genommen werden, auch wenn derzeit noch (!) auf hohem Niveau „gejammert“ wird, denn der Zenit könnte bereits hinter uns liegen.

 

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