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Christoph Boschan im trend-Interview: „Investieren statt Spekulieren“

11. Juni 2021 | Thomas Martinek | trend

Herr Boschan, zu Geburtstagen gibt es üblicherweise Geschenke, bei runden sogar große. Welches Geschenk würden Sie sich von der Regierung zu 250 Jahre Wiener Börse wünschen?

Ich würde mir eine klare, mit einem Ziel versehene Kapitalmarktstrategie erhoffen. Denn wir werden jetzt besonders nach der Krise sehen, dass Volkswirtschaften mit entwickelten Kapitalmärkten sich schneller und nachhaltiger erholen. Sie werden das deutlich größere Wachstum aufweisen. Ein entwickelter Kapitalmarkt ist für alle eine Win Win Win-Situation.

Und eventuell auch Änderungen bei der Kapitalertragsteuer?

Natürlich. Wir wünschen uns ja gar nichts Neues. Sondern nur das die Eckpfeiler aus dem Regierungsprogramm umgesetzt werden. Und darin wird festgehalten, dass Wertpapiere nach einer noch festzulegenden Behaltedauer von der Kapitalertragsteuer befreit werden. Und auch, dass es eine landesweite Strategie für mehr Finanzbildung geben wird. Wir wünschen uns also nur die Umsetzung des Versprochenen. Und das möglichst zügig.

Die Regierungen haben Milliardenpakete geschnürt um die Wirtschaft in der Corona-Krise über Wasser zu halten. Die Banken haben Kredite gestundet oder Investitionskredite vergeben. Welchen Beitrag hat der Kapitalmarkt zur Bewältigung der Krise geleistet?

Einen ganz entscheidenden. Denn der Kapitalmarkt repräsentiert ja die österreichische Wirtschaft. Jeder zehnte Arbeitsplatz hängt direkt oder indirekt von börsenotierten Unternehmen ab. Jedes in Wien börsenotierte Unternehmen schafft Wertschöpfung in Österreich. Und nicht zuletzt ist der Staat ja selbst ein großer Aktionär. Über die Dividenden fließen hunderte Millionen direkt in den Staatshaushalt. Daher ist die Bedeutung des Kapitalmarkts auch in der derzeitigen Situation enorm wichtig.

Die Wirtschaft steuert auf einen Aufschwung zu. Speziell Österreich erholt sich rascher als erwartet. Das sieht man auch an den Kursentwicklungen der an der Wiener Börse notierten Unternehmen. Wie könnten mehr Österreicher auch von dieser Entwicklung profitieren?

Die meisten am Wiener Markt notierten Unternehmen profitieren vom internationalen Aufschwung. Und das ist auch Grund, warum die Kursentwicklung derzeit so erfreulich ist. Wir würden uns wünschen, dass nicht nur der Staat, sondern dass auch mehr Bürger mit Aktien von dieser Entwicklung profitieren. Dazu müsste es mehr Finanzbildung geben und eine steuerliche Förderung. Denn der österreichische Anleger investiert aus einem bereits versteuerten Arbeitseinkommen und möchte für eine Altersvorsorge am Kapitalmarkt keine Doppelbesteuerung hinnehmen müssen. 

In der Krise haben besonders junge Menschen den Kapitalmarkt entdeckt – auch mit teils skurrilen Auswirkungen – Stichwort GameStop – wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Sie hat für mich zwei Aspekte. Zunächst einen eher abschreckenden. Denn wenn man sieht, mit welcher Leichtfertigkeit dabei mit Geld umgegangen wird, und welche großen Kursschwankungen gerade bei diesen Investments auftreten, dann fürchte ich, dass das für die breite Bevölkerung keine Vorbildwirkung hat. Denn es sollen ja mehr Menschen zum Investieren und nicht zum Spekulieren gebracht werden. Der positive Aspekt ist aber, dass durch die technisch erleichterten Zugangsmöglichkeiten zur Börse die Demokratisierung der Kapitalmärkte vorangetrieben wird. Anleger können nun viel leichter investieren. Also bleibt von dieser Welle, wenn sie sich in Richtung Investieren bewegt, auch eine positive Entwicklung über. 

In Österreich wird Aktienbesitz aber immer noch hauptsächlich mit Spekulation gleichgesetzt. Wie kann man das ändern?

In dem man nicht die kurzfristige, sondern die langfristige Entwicklung, beispielsweise der Wiener Börse, betrachtet. Der ATX brachte inklusive Dividenden ein Plus von 600 Prozent seit Bestehen. Das entspricht einer jährlichen Durchschnittrendite von 6,6 Prozent. Aber diese hohe Durchschnittrendite erzielt man nicht durch Spekulation, sondern nur durch langfristiges Investieren.

Einer der größten Investoren an der Wiener Börse, der von dieser langfristigen Entwicklung profitiert, ist der norwegische Staatsfonds. Sollte es nicht auch einen österreichischen Staatsfonds geben?

Absolut. Dass wäre ein enorm wichtiger Beitrag zu einer weiteren Entwicklung des heimischen Kapitalmarktes. Der müsste aber nicht auf ein doch kleineres Universum wie demösterreichischen Markt fokussiert bleiben, sondern könnte dann natürlich auch international investieren. Der größte ist mittlerweile der Government Pension Fund of Japan, der die Vorsorge einer immer älter werdenden Bevölkerung absichern soll. Und diese demografische Entwicklung gibt es in Deutschland und Österreich ebenfalls. Mit einem Staatsfonds könnte der gegenwärtige Wohlstand zu künftigen Generationen weitertransportiert werden.

Welche Renditen erzielen Staatsfonds?

Das hängt vom Zeitpunkt der Gründung ab. Der Norwegian State Fund, einer der ältesten Staatsfonds, hatte viele Jahre ein Wachstum von zwölf bis 14 Prozent. Die Staatsfonds aus der zweiten Gründungswelle erzielten noch um die zehn Prozent.  Und die aus der dritten nur mehr rund sechs Prozent. Den letzten beißen die Hunde. Wer eine Staatsfondsidee für richtig hält, der muss jetzt handeln.

Dieses Interview erschien zuerst im Wochenmagazin trend am 11. Juni 2021

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