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Was eine Rezession bedeuten würde

Michael Kordovsky | Börsen-Kurier 

Das lange Zinsende hat eine Rezession im Euroraum bereits eingepreist.

Wirft man einen Blick auf die Forward-Kurve im 3-Monats-Euribor, die aus den Futures-Preisen abgeleitet ist, dann impliziert deren Verlauf bereits bis zur EZB-Sitzung am 11. April 2024 eine erste Leitzinssenkung. Doch bezogen auf das Wording der EZB, wonach ein ausreichend langer Zeitraum eines restriktiv hohen Leitzinsniveaus zur Erreichung des Stabilitätszieles einer Inflationsrate von 2 % (zuletzt im November: 2,4 %) immer wieder hervorgehoben wird, würde dies nur eines bedeuten: Die Forward-Kurve preist gerade eine disinflationäre Rezession im Euroraum ein. Dies deckt sich auch mit einer nach wie vor intakten inversen Zinskurve bei den Euro-Swap-Sätzen und dem jüngstem Zinscrash am langen Ende. Der 20-Jahres-Euro-Zinssatz-Swap ist von seinem 52-Wochen-Hoch am 4. Oktober 2023 von 3,524 % bis zum 24.12.2023 auf 2,472 % - also um gut einen Prozentpunkt - zurückgegangen. Gleichzeitig sind bis 25.12.2023 auf Monatsbasis die Renditen zehnjähriger deutscher Bundesanleihen um 66 Basispunkte auf 1,98 % gefallen. Die Renditen laufzeitkongruenter italienischer Staatsanleihen gingen sogar um 85 Basispunkte auf 3,53 % zurück. 

Eventuell bereits in der Rezession

Die Eurozone befindet sich bereits zumindest am Rande einer Rezession. Vom zweiten auf das dritte Quartal war das BIP-Wachstum im Euroraum-20 von 0,6 auf 0,0 % rückläufig, und im vierten Quartal wiesen bereits folgende Euroländer eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung auf: Deutschland (-0,4 %), Estland (-4,0 %), Irland (-5,6 %), Luxemburg (-1,8 %), Niederlande (-0,5 %), Österreich (-1,6 %) und Finnland (-1,2 %).

Der Industriesektor der Eurozone geriet zuerst in den Kontraktionsbereich (gefolgt von der gesamten Privatwirtschaft). Der entsprechende Aktivitätsindikator, der saisonbereinigte „HCOB Flash Eurozone Composite PMI“ aus dem Dezember 2023, führt zu folgender Schlussfolgerung: Abgesehen vom ersten Corona-Lockdown befindet sich der Euroraum bereits in der stärksten Kontraktion seit dem vierten Quartal 2012. Immer mehr Volkswirte rechnen zumindest mit einer milden Rezession der Eurozone, die bereits im dritten Quartal 2023 begonnen haben könnte.  

Keine größeren Einschnitte mehr zu erwarten

Fundamental wird sich nicht mehr so viel verändern, zumal die Inflationsrate infolge rückläufiger Energiepreise und auch aufgrund eines nachfragebedingten schwächeren Preisanstiegs bei Industriegütern ohne Energie bereits von September bis November 2023 von 4,3 auf 2,4 % zurückgegangen ist. 

In punkto Arbeitslosenquote ist hingegen noch Luft nach oben. In der Industrie wird bereits Personal abgebaut. Doch die veröffentlichten Quoten für den Euroraum hinken hinterher. Von Juli bis Oktober verharrte die Arbeitslosenquote noch auf 6,5 %, während die Jugendarbeitslosigkeit (unter 25 Jahre) von 14,5 auf 14,9 % anstieg. Letzteres ist bereits ein Vorbote von dem, was sich abzeichnen könnte. Am 1. Februar 2024 wird die Quote für Dezember 2023 veröffentlicht. 6,7 % sind dann denkbar und infolge teurer Lohnrunden beschleunigt sich der Personalabbau. 7 % und mehr sind daher im Verlauf des Jahres 2024 durchaus vorstellbar. Wie schnell dann bei sinkender Nachfrage die Preise zurückgehen, hängt von der individuellen Pricing Power der einzelnen Unternehmen ab. 

Wird eine Rezession im Euroraum von schwachen Wirtschaftsdaten aus China und einer Konjunkturabkühlung in den USA begleitet, dann ist eine Erreichung des Stabilitätszieles der EZB greifbar und bereits im Frühjahr 2024 kann eine erste Leitzinssenkung erfolgen. Anzahl und Intensität weiterer Leitzinssenkungen hängen aber von der aktuellen (Inflations-)Datenlage ab. 

Normalisierung der Zinskurve

Eine Tendenz wäre allerdings an der Zinsfront bei Rezessionseintritt zu erwarten, nämlich eine Normalisierung (Verflachung) der Zinskurve durch Rückgänge der Geldmarktzinsen bei gleichzeitigen Anstiegen der längeren Kapitalmarktzinsen, denn Letztere haben das Rezessionsereignis bereits eingepreist. Trifft das erwartete Ereignis ein, schlägt das Pendel bereits wieder in die andere Richtung. 

Indessen schwer einzuschätzen ist die Entwicklung der Aktienmärkte. Einerseits würden Zinssenkungen die europäischen Aktienmärkte beflügeln, andererseits könnten zunehmende Gewinnwarnungen noch zu stärkeren Kursrückgängen führen. Was allerdings im Falle einer Rezession ziemlich sicher zu erwarten ist, sind erhöhte Volatilitäten.
 

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