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Marktanalyse: Europa am Scheideweg

Horst Simbürger

Europa hinkt konjunkturell und industriepolitisch den USA hinterher, Bewertungen und die Geldpolitik sprechen jedoch für ein Engagement in europäische Aktien.

Während die Konjunktur in den USA wieder deutlich angezogen hat und für heuer ein Wachstum von fast 3 % erwartet wird, stottert der Konjunkturmotor in Europa schon seit längerer Zeit. Das Wirtschaftswachstum in der Eurozone wird deutlich unter Potenzial liegen und geringer als 1 % ausfallen. Deutschland und Frankreich sind aktuell in der Rezession, wenngleich die zuletzt veröffentlichten Vorlaufindikatoren eine Erholung andeuten. Die US-Börsen haben die europäischen Indices über Jahre kontinuierlich outperformt, was zum großen Teil auch der höheren Gewinndynamik geschuldet ist. Die Unternehmensgewinne in den USA sollten heuer um fast 10 % wachsen, während die Gewinnsituation in Europa, mit prognostizierten -3 %, mau ist und die unterschiedlichen Konjunkturtrends widerspiegelt. Für nächstes Jahr sieht das Bild etwas besser aus, allerdings wachsen die Gewinne in den USA weiterhin stärker als in Europa. Der unterschiedliche Gewinnpfad beruht auf einem Bündel von belastenden Faktoren.  Der Ukrainekrieg hat Europa stärker getroffen als die USA, und die schwächere Konjunktur in China hinterlässt in den traditionell exportabhängigeren Ländern Europas deutlichere Spuren. Der divergierende Gewinnpfad dauert jedoch schon viel länger an und lässt sich nicht auf diese beiden Ereignisse reduzieren. Die USA sind in nahezu allen Belangen die dynamischere Volkswirtschaft, die „Magnificent 7“ sind nicht nur aufgrund ihrer Aktienperformance herausragend, sondern prägen ganze Industrien. Man mag Elon Musk durchaus kritisch gegenüberstehen, Tesla hat jedoch den gesamten Automobilsektor neu definiert und die europäischen Automobilhersteller massiv unter Zugzwang gebracht. Die Marktkapitalisierung Teslas ist höher als die des gesamten europäischen Automobilsektors. Auf der Technologieseite dominieren, mit Ausnahme von ASML, Unternehmen aus den USA und Asien.

Börsen sind die „Diskontierungsmaschinen“ schlechthin. Höhere Gewinne und vor allem Gewinnerwartungen werden durch höhere Kursgewinne und Bewertungen honoriert. In den letzten 10 Jahren konnten Anleger mit US-Aktien doppelt so viel gewinnen wie mit europäischen Titeln. Mittlerweile sind die Bewertungsunterschiede zwischen den USA und Europa jedoch auf einem historischen Tiefststand, die unterschiedliche Dynamik sollte also großteils eingepreist sein. Ein Faktor, der für Europa spricht, ist die Geldpolitik. Während sich Europa rasch dem Inflationszielkorridor von 2 % nähert, dürfte die Inflation in den USA eher im Bereich von 3 % stagnieren. Die Kombination aus Wachstum und Inflation hat in letzter Zeit auch Zweifel an einer Zinssenkung in den USA genährt, wurde zu Jahresbeginn sogar eine Zinssenkung durch die FED im März nicht ausgeschlossen, wird aktuell frühestens im September damit gerechnet. In Europa verhält sich die Situation genau umgekehrt, schwaches Wirtschaftswachstum gepaart mit sinkenden Inflationszahlen sollte die üblicherweise langsamer agierende EZB diesmal überzeugen vor der FED die Zinsen zu senken. Der erste Zinsschritt dürfte damit im Juni erfolgen und den europäischen Börsen den erhofften Rückenwind erteilen.

Autor:
Horst Simbürger, MSc, CEFA
Geschäftsführer
CONVERTINVEST Financial Services GmbH 
25. April 2024

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