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Marktanalyse: Evergrande – Notiz am Rande

Christoph Schultes

Die Aufwärtstrends der meisten internationalen Indizes sind gebrochen, der Monat September leitete für die Aktienmärkte eine Konsolidierungsphase ein. Getrübt wurde die Stimmung von Inflationssorgen, der Mäßigung der lockeren Geldpolitik der Notenbanken und Ängsten über mögliche Schocks aus China. Schlagzeilen machte vor allem der in Schieflage geratene chinesische Immobilienriese Evergrande, die Nummer zwei des lokalen Immobiliensektors, der insgesamt für rund ein Viertel der chinesischen Wirtschaftsleistung verantwortlich ist. Bei einer mageren Eigenkapitalquote von gerade einmal 15 % hat das Unternehmen Verbindlichkeiten von rund 300 Mrd. USD angehäuft. Das Zögern Pekings, den hochverschuldeten Konzern aufzufangen, vergrößerte die Verunsicherung der Anleger, ohnehin besteht wenig Klarheit darüber, ob ein solches Vorgehen einem kontrollierten Scheitern unbedingt vorzuziehen ist.

Entgegen aller Widrigkeiten konnte der ATX seinen Aufwärtstrend fortsetzen und auf Monatssicht ein Plus von knapp über 1 % verbuchen. Profitiert hat der österreichische Leitindex dabei zum wiederholten Male in diesem Jahr von seiner Zusammensetzung. International gefragt waren im Monat September vor allem Öl & Gas-Titel, die dem Aufwärtstrend des Ölpreises folgten. Ebenfalls gesucht waren Banken und Unternehmen des Reise- und Freizeitsektors, die von der langsamen aber (hoffentlich) sicheren Erholung von der Pandemie getrieben weitere Kursgewinne verzeichnen konnten. Seit Jahresbeginn weist der ATX nun ein Plus von 32% auf und liegt damit klar vor seinen prominenten Indexkollegen Stoxx 600 und S&P, die seit Jahresbeginn Zugewinne von „nur“ 14 % bzw. 15 % aufzuweisen haben.

Ist dies ein Grund anzunehmen, dass der ATX sein Pulver verschossen hat? Wir denken nein, denn die Umgewichtung zu Value-Stocks bzw. zyklischen Aktien scheint noch nicht abgeschlossen, der ATX sollte daher von dem hohen Anteil an genau diesen Titeln weiterhin profitieren. Das niedrige KGV von derzeit 11,2x basierend auf Gewinnschätzungen für 2021 ist aufgrund des geringen Anteils an Wachstumswerten nicht mit anderen Indizes vergleichbar (Stoxx 600: 16,3x, S&P: 21,3x), dennoch ist zu unterstreichen, dass diese Kennzahl derzeit deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt von 13,2x liegt. Der Trend zu positiven Gewinnrevisionen und die Gewinndynamik an sich sprechen ebenfalls für den österreichischen Leitindex und der Fortsetzung seines langfristigen Aufwärtstrends.

Bleibt noch die Frage zu klären, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Korrekturphase an den internationalen Börsen weiter anhält. In der Tat sind die Aktienmärkte einer steifen Brise an Gegenwind ausgesetzt. Zinsängste aufgrund des Inflationsdruck irritieren bereiten den Anlegern Sorge, genauso wie die Tatsache, dass das Wirtschaftswachstum in China nun etwas abflaut. Unerwartet kommt jedoch weder das eine noch das andere, und welche sinnvollen alternativen Veranlagungsmöglichkeiten gibt es schon? Auch eine Pleite der Evergrande wird nicht allzu hohe Wellen schlagen. Es ist davon auszugehen, dass sich der Fokus der Investoren in den nächsten Wochen wieder der Berichtssaison zuwendet, und diese sollte so wie in den ersten beiden Quartalen die Märkte unterstützen. Was ebenfalls für eine Rückkehr zum Aufwärtstrend spricht ist die Saisonalität. Im letzten Quartal des Jahres steigen Aktien im Schnitt um mehr als 5%, das gilt für den ATX gleichermaßen wie für Stoxx 600 und S&P.


Autor:
Mag. Christoph Schultes, MBA, CIIA
Erste Group Bank AG 
6. Oktober 2021

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