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Marktanalyse: Europe First oder – Kriegskasse statt Friedensdividende?

Uta Pock

In den ersten beiden Monaten des Jahres haben die europäischen Aktienmärkte einen Teil ihres Bewertungsrückstands gegenüber den USA aufgeholt. Während der S&P500 bei +/- 0 % stagnierte gewann, nahm der ATX von Jahresbeginn bis 4. März 2025 um rund 12 % zu und der ATX TR erreichte – ebenso wie der DAX – mehrere All-time Highs in Folge. Angesichts der nachhinkenden Wirtschaftsdynamik der Eurozone (und innerhalb der Eurozone: des deutschsprachigen Raums) eine einigermaßen verblüffende Bilanz der ersten Amtswochen der als wirtschaftsfreundlich und EU-kritisch eingeschätzten neuen US-Administration.

Einer der wesentlichen Gründe ist die unterschiedliche Phase der beiden Währungsblöcke im Konjunkturzyklus. Während sich das US-BIP-Wachstum nach langem Aufschwung abflacht, befindet sich die Eurowirtschaft nahe der Talsohle, deren Überwindung in der Regel mit überdurchschnittlichem Wachstum einhergeht. Allerdings wurde dies auch schon Anfang 2024 und Anfang 2023 jeweils noch im laufenden Jahr erwartet – was zumindest in Österreich und Deutschland deutlich verfehlt wurde. Warum sollte das dieses Mal anders sein?

Für einen Aufschwung sprechen die – wenn auch mit Unterbrechungen – rückläufige Inflation, die gesteigerten realen Einkommen, dynamische Regionen wie Irland oder Spanien an der Peripherie bzw. Länder in unmittelbarer Nachbarschaft des gemeinsamen Währungsraums, insbesondere Polen. Das Programm der neuen EU-Kommission sieht verlängerte Übergangsfristen für die Anpassung der Automobilindustrie an die Emissionsvorgaben, verringerte ESG-Berichtspflichten für Unternehmen unter 1000 Mitarbeitern sowie Möglichkeiten für Infrastruktur- und Rüstungsinvestitionen außerhalb des generellen Schuldenregelwerks vor. Der Spielraum, dies für erhöhte staatliche Ausgaben zu nutzen, ist vor allem in Deutschland groß, und angesichts der zugespitzten geopolitischen Lage scheint auch die Bereitschaft dazu zu wachsen. Wenig überraschend waren es vor allem die Aktien von Rüstungsunternehmen und ihren Zulieferern, die in den letzten Wochen stark performten. 

In den USA scheinen viele dieser Spielräume schon weiter ausgenutzt zu sein: Die Staatsschuldenquote ist hoch, die Inflation bildet sich in Erwartung neuer Importzölle nicht mehr weiter zurück und die Zinsen bleiben deutlich höher als hierzulande. Die niedrige Abgabenquote würde zwar jederzeit eine Budgetkonsolidierung via höherer Steuern erlauben, geplant ist aber das Gegenteil. Staatliche Aktivitäten werden teilweise zurückgefahren, was einen Teil (2.000 Mrd. USD bis 2028) des Steuerrückgangs von 4.500 Mrd. USD ausgleicht, allerdings auch die Nachfrage belasten kann. Ob die höheren Zölle das wie erhofft budgetär und, verstärkt durch die Steuersenkungen, nachfrageseitig kompensieren können, hängt auch von den Reaktionen der Handelspartner ab. 
Die Risiken sind hoch, werden bis jetzt am Aktienmarkt aber adäquat bezahlt. Vor allem in Europa besteht noch erhebliches Aufwärtspotenzial, das sich allerdings wohl nur dann wird entfalten können, wenn auch die US-Wirtschaft stabil bleibt.

Autorin:
Dipl.-Vw. Uta Pock, lic.oec.int.
Senior Research Analyst
4. März 2025

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