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Marktanalyse: Die Zinsen gehen – die Dividenden bleiben

Alois Wögerbauer

Hätte ich diesen Marktkommentar im Sommer 2010 geschrieben, so wären dem interessierten Anleger zwei grundsätzliche Möglichkeiten offen gestanden. Ein Investment in die 10-jährigen Anleihen des Staats Österreichs hätte eine Rendite von etwa 3 % gebracht. Im Vergleich dazu lag die Dividendenrendite der österreichischen Aktien gemessen am ATX-Index auch bei etwa 3 % im Schnitt. Gerade in Österreich hätte sich die Mehrheit der Anleger wohl für die Anleihevariante entschieden, auch wenn ich die Vorteile der Aktienbeteiligung betont hätte.

Heute neun Jahre später stellt sich die Lage gänzlich anders dar. Was die Anleihen betrifft, brachte der Juni 2019 ein historisches Ereignis. Erstmals in der Geschichte lagen die 10-jährigen Staatsanleihen aus Österreich im negativen Bereich. Die 100-jährigen Staatsanleihen aus Österreich rentieren derzeit bei etwa 1,15 %. Die Tiefzinswelt ist kein temporäres Phänomen. Die Tiefzinswelt ist gekommen um zu bleiben. Vergleiche mit der historischen Entwicklung in Japan sind nicht von der Hand zu weisen.

Wie ist in diesem Umfeld der Aktienmarkt bewertet? Auf Basis der Dividendenerwartungen für die kommenden zwölf Monate ergibt sich für die Titel im ATX-Index eine beeindruckende Rendite von 4,1 % im Schnitt. Natürlich ist nicht jede Dividende in jedem Konjunkturzyklus vor negativen Revisionen sicher. Aber: In Summe ist die Dividendenqualität hoch, die Bilanzen sind stabil und die Dividenden stehen in einem vernünftigen Verhältnis zum Geschäftserfolg der Unternehmen. Diese 4,1 % sind daher keine Phantasiezahl, sondern stellen eine berechtigte Ausschüttungserwartung dar.

Auch aus Sicht der Gewinnbewertungen ergibt sich eine attraktive Ausgangssituation. Auf Basis der aktuellen Gewinnerwartungen für die kommenden zwölf Monate ergibt sich ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von etwa 11. Dies liegt sowohl unter dem europäischen als unter dem globalen Schnitt. Auch wenn man klarerweise berücksichtigen muss, dass in Wien viele zyklische Titel notieren, deren KGV-Bewertung grundsätzlich nicht mit Wachstumsaktien zu vergleichen ist, so ist dies dennoch unstrittig eine günstige Ausgangslage.

Der Wandel Richtung Dividendenmarkt wird sich weiter vollziehen – und von den Investoren früher oder später honoriert werden. Zahlreiche Titel wie beispielsweise Österreichische Post, Mayr-Melnhof oder die beiden Versicherungstitel Vienna Insurance Group und Uniqa überzeugen nicht durch hohe Wachstumsraten, sondern durch nachhaltige Dividendenzahlungen. OMV wird nach einer Phase des Portfolioumbaus in den kommenden Jahren den Fokus noch mehr Richtung Cash-Flow und Dividende richten. Titel wie voestalpine oder Andritz bieten auf den aktuell gedrückten Niveaus auch eine solide Einstiegsbasis. Dazu kommt die Immobilienwelt um Immofinanz, CA-Immo und S-Immo, die wohl vor einer Neuordnung steht, aber grundsätzlich der größte Profiteur der EZB-Zinspolitik ist.

Der Wiener Aktienmarkt ist kein Umfeld für Trader und Momentum-Spezialisten. Erstens weil das Market-Timing schwierig ist, zweitens weil die Liquidität echte Trading-Strategien gar nicht zulässt. Der Wiener Markt ist ein Umfeld für Strategen, die zudem eine Value-Orientierung mitbringen sollten.

Die Zinswende wird nicht kommen. Die Zinsen gehen, die Dividenden bleiben. Ein Investor mir ruhiger Hand, mit Schwankungstoleranz und mit einem mehrjährigen Anlagehorizont findet in Wien derzeit eine ausgezeichnete Ausgangsituation vor.


Autor:
Alois Wögerbauer, CIIA
Geschäftsführer der 3 Banken-Generali Investment-Gesellschaft m.b.H.
3. Juli 2019

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