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IR besteht längst aus mehr als Bilanzkennzahlen

Tibor Pásztory | Börsen-Kurier

CIRA-Vorstandsvorsitzender Harald Hagenauer im Gespräch mit dem Börsen-Kurier.

Harald Hagenauer, Leiter Investor Relations, Konzernrevision und Compliance der Österreichischen Post AG, fungiert ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender des Circle Investor Relations Austria (CIRA). Anlässlich deren Jahreskonferenz skizziert er im Gespräch mit dem Börsen-Kurier Aufgaben und Einfluss der Interessensgemeinschaft in einem sich im Umbruch befindlichen Kapitalmarkt.

Börsen-Kurier: Auf welche Weise kann die CIRA als Vertreterin des IR-Gedankens den heimischen Kapitalmarkt stärken?
Harald Hagenauer: Die Anforderungen an eine professionelle Marktkommunikation gehen heute weit über klassische Investor Relations hinaus. Sie umfasst auch die Themen ESG, Compliance, Governance und sogar Vergütungsreporting. Aus diesem Grund sprechen wir nicht nur mit klassischen IR-Leuten, sondern auch mit Stimmrechtsvertretern, Investoren, Bankern, Service Providern, Fondsmanagern und Juristen. Es gibt hier längst internationale Spielregeln einzuhalten, und das Ziel lautet, hier gemeinsam zu agieren.

Börsen-Kurier: In welcher Form agiert die CIRA?
Hagenauer: Neben der alljährlichen Herbstkonferenz fand diesen Mai beispielsweise eine ESG-Konferenz statt, die sich mit den Auswirkungen der ESG-Anforderungen auf den Kapitalmarkt auseinandergesetzt hat. Außerdem beschäftigen wir uns mit dem Thema „HV neu“, das Vor- und Nachteile virtueller Hauptversammlungen recherchiert. Auch bietet die CIRA zahlreiche Seminare an.

Börsen-Kurier: Wie kann der Kapitalmarkt für Privatanleger niederschwelliger betreten werden? Gibt es in Österreich zu wenig Privataktionäre?
Hagenauer: Tatsächlich ist die Zahl der Direktaktionäre in Österreich nicht extrem hoch. Aber man darf diejenigen Anleger, die in Fonds investieren, nicht vergessen dazuzuzählen, dann sieht die Situation schon anders aus. Aber wir bemühen uns um Anhebung der gesellschaftlichen Akzeptanz des Kapitalmarktes, etwa in unserer Kooperation mit der Wiener Börse bei Schulungen zum Finanzwissen.

Börsen-Kurier: Die Zahl der Börsengänge in Wien ist auch nicht berauschend …
Hagenauer: In den Jahren nach der Finanzkrise erhielt man für die Unternehmensfinanzierung Kredite zum Nulltarif, weswegen Finanzierungen mit Fremdkapital meist bevorzugt wurden. Nun aber, angesichts der Zinserhöhungen, sollten sich Börsengänge viel eher rentieren und Eigenkapital höher bewertet werden. Auch Anleihen werden wichtiger. Die CIRA unterstützt dabei Banken bei einschlägigen Informationsveranstaltungen.

Börsen-Kurier: Ist ESG nun ein Aktionärsthema?
Hagenauer: Durchaus! ESG ist weit komplexer als klassische IR, aber auch treibende Kraft. So haben sich sämtliche Ratingagenturen durch Zukäufe bei ESG-Wissen gestärkt, und längst wird das Thema auch in Indexfonds abgebildet. Und bei vielen Ratings (MSCI, etc.) müssen Daten ausgefüllt werden. Dies führt nicht nur in einer ideologisch anderen Welt, sie führt auch zu einer neuen Art der Veranlagung. Was hier zählt, sind die entsprechenden KPIs (Key Performance Indicators).

Börsen-Kurier: Das klingt nach einer schönen neuen Welt...
Hagenauer: Naja, manches wird auch übertrieben, wie etwa in der Ausgestaltung der Taxonomie-Verordnung. In Europa wollen wir immer alles gleichzeitig und können dabei auch blauäugig sein. Ich würde mir mehr Wesentlichkeit und Pragmatismus wünschen. Auswüchse werden von der CIRA auch durchaus angesprochen.

Börsen-Kurier: Bei derzeit sieben ATX-Unternehmen verfügt der Aufsichtsrat über eigene Nachhaltigkeitsausschüsse. Ist das notwendig? Und soll sich ESG auf die Vorstandsvergütung auswirken?
Hagenauer: Bei beiden Fragen gibt es keine Einheitslösung. Wenn sich nur einzelne Mitglieder mit ESG beschäftigen, können sich die anderen Aufsichtsräte nicht mit dem Thema auseinandersetzen. ESG als strategische Gesamtverantwortung macht also Sinn. Und Vorstandsvergütungen müssen sich maßgeschneidert nach ihren jeweiligen KPIs, also Indikatoren, richten.

Börsen-Kurier: Wir danken für das Gespräch!

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Hinweis

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