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Börsen-Kurier: Private Vorsorge – ein vielfach vernachlässigtes Thema

Marius Perger | Börsen-Kurier

Wie man auch in höherem Alter noch vom Kapitalmarkt profitieren kann.

Jahrelang hat man in Österreich den Menschen erklärt, die „erste Säule“ der Altersvorsorge – also die staatliche Pension – werde ausreichen, selbst die Existenz einer Pensionslücke wurde von manchen bestritten. Nun gibt es Pläne für eine Stärkung der betrieblichen Vorsorge, also der „zweiten Säule“ – so ist im aktuellen Regierungsprogramm der „Generalpensionskassenvertrag“ vorgesehen, der es allen Arbeitnehmern ermöglichen soll, ihre Abfertigungssummen anlässlich des Pensionsantrittes an eine Pensionskasse zu übertragen, um dadurch eine lebenslange Zusatzpension zu erhalten. Die „dritte Säule“, die private Vorsorge, ist in der öffentlichen Diskussion dagegen nur wenig präsent – Grund genug für uns, das Thema im Rahmen eines Round Table mit hochrangigen Versicherungsexperten zu diskutieren.

Die Notwendigkeit privater Vorsorge

Für Stefan Otto, Vertriebsdirektor Österreich bei der WWK Lebensversicherung, ist das Thema „gar nicht präsent“, weil die Österreicher noch immer fest auf das staatliche System vertrauen. Erst jetzt habe die neue Regierung das Thema vorsichtig angegriffen, doch es sei bereits viel zu viel Zeit verloren worden. Markus Zahrnhofer, CEO der Merkur Lebensversicherung, betont, dass man über alle drei Säulen diskutieren müsse: „Dass es auch in Zukunft eine staatliche Pension geben wird, steht außer Frage – ungewiss ist jedoch ihre Höhe.“ Er plädiert für einen Schulterschluss zwischen öffentlicher Hand und Versicherungswirtschaft: „Die Versicherungsbranche ist bereit und hat Lösungen parat – doch die Politik muss den Stein ins Rollen bringen.“

Es sei klar, dass die staatliche Pension nicht reichen wird, sagt Michael Gadinger, Leiter Produktmanagement & Vertriebsunterstützung bei der Wiener Städtischen Versicherung. Das müsse man mit den Menschen ganz offen diskutieren, aber ohne Angst zu machen oder Horrorszenarien aufzubauen: „Es würde uns allen guttun, das Thema positiv zu besetzen und den Menschen auch zu sagen, was es bringt, wenn man rechtzeitig beginnt, privat vorzusorgen. Nämlich finanzielle Freiheit im Alter.“ Viele Menschen würden zwar wissen, dass Vorsorge wichtig ist, aber nichts tun: „Diese Diskrepanz müssen wir versuchen aufzulösen“, so Gadinger.

Schon heute würden 13,7 % des BIP in die öffentlichen Pensionen fließen, und das werde deutlich steigen, betont auch Patrick Rechberger, Leiter Makler- und Agenturvertrieb Österreich bei der Ergo Versicherung. Wenn man das transparent darlegt, führe es automatisch dazu, dass sich die Menschen mit der zweiten und der dritten Säule beschäftigen. Wichtig sei es auch, das Thema Vermögen positiv zu besetzen und den Vermögensaufbau auch im Sinne von Absicherung im Alter hervorzuheben.

Während viele Menschen das staatliche Pensionssystem als eine vollständige Absicherung für das Alter sehen, sei es in Wirklichkeit „maximal eine Grundsicherung“, sagt Christian Nuschele, Head of Distribution Deutschland und Österreich der Standard Life Versicherung. Und vor dem Hintergrund des demografischen Wandels werde es künftig sogar noch weniger leisten können: „Da erwarte ich schon mehr Ehrlichkeit von Seiten der Politik.“ Es werde versucht, den Status Quo des gesetzlichen Systems beizubehalten, anstatt dringend notwendige Reformen einzuleiten. Aber auch die Branche müsse noch mehr über die Notwendigkeit der privaten Pensionsvorsorge aufklären.

Die Angst der Vermittler

Viele Versicherungsmakler würden das Lebensversicherungsgeschäft „gar nicht mehr angreifen“, sieht Otto ein weiteres Problem. Viele würden sich über die fondsgebundene Lebensversicherung nicht „drübertrauen“, für viele sei das Thema durch die Finanzkrisen spätestens seit 2008 gestorben. Und die klassische mit ihrem Garantiezins sei eigentlich tot. „Unser Ansatz kann im Augenblick hauptsächlich sein, den Makler wieder zu gewinnen, dass er dieses Thema angreift“, so Otto. Dafür müsse man den Berater aufklären, ihm die Angst vor einem Crash nehmen und Argumente an die Hand geben, damit er das dementsprechend auch seinen Kunden kommunizieren kann. Denn langfristiges Investment in Fonds sei „immer positiv zu sehen“.

Nuschele widerspricht dem allerdings: „Wir sehen bei unseren Vertriebspartnern viele Berater, die im Bereich der Pensionsvorsorge einen besonderen Schwerpunkt haben oder sich sogar darauf fokussieren.“ Eine solche Spezialisierung sei allerdings notwendig, um den Kunden von der Wichtigkeit der privaten Vorsorge zu überzeugen. Und es gelte, dem Kunden die Vorteile von modernen Vorsorgelösungen wie Fondspolizzen darzustellen. Denn diese würden zusätzlich zum Investment das Langlebigkeitsrisiko absichern: „Das kann kein anderes Vorsorgeprodukt bieten.“

Der Wiener Städtischen gelinge es, stärker als der Markt zu wachsen, erläutert Gadinger. Allerdings könne man mit den Botschaften von früher, als die Lebensversicherung noch ein „eher steifes und starres Vehikel“ war, Millennials oder GenZ nicht erreichen. Es brauche flexible Vorsorgeformen, auch mit Fokus auf Vermögensaufbau oder Existenzgründung, gepaart mit Transparenz und modernen Vertriebsformen. Und es brauche eine andere Art der Kommunikation. Damit könne es gelingen, die jungen Zielgruppen sehr gut zu erreichen, „weil wir alle wissen, je früher man anfängt, umso besser“.

Vermittler würden die Problematik grundsätzlich kennen, das Wissen sei vorhanden, so Rechberger. Es sei „eher das Thema, dass sie die Produkte auch ansprechen“ und beim Endkunden Bewusstsein schaffen. Es gehe um gezielte Kommunikation, gemeinsam mit anderen Initiativen und schließlich auch um Finanzbildung: „Von diesem Thema spricht man auch schon lange, wirklich angegangen hat es niemand.“ Die Versicherungsbranche könne hier einen großen Beitrag leisten.

Auch für Zahrnhofer spielt das Thema Finanzbildung eine zentrale Rolle: „Wir sprechen oft über den Cost-Average-Effekt oder den Zinseszins – viele Menschen können damit aber nichts anfangen. Hier braucht es mehr Aufklärung und einfache Erklärungen, damit finanzielle Vorsorge besser verstanden und genutzt wird.“

Das Problem liege beim Vermittler aber auch darin, dass ihm die Beratung im Nachhinein negativ vorgehalten werden könnte, so Rechberger. Dass Berater das Thema nicht so gerne angreifen, liege auch daran, „dass der Kunde im Nachgang sagt, ich hätte bessere Alternativen gehabt“.

Wie beraten?

Es bestehe Vertrauen in die Versicherungen, seit 90 Jahren habe es in Österreich keinen insolventen Versicherer mehr gegeben, betont Zahrnhofer: „Darauf müssen wird aufbauen, das ist ein wesentliches Thema.“ Vorsorge sei aber kein Thema, das man leicht anspricht: „man muss es mit Vertrauen ansprechen und aufbauen.“ Und Finanzbildung sei notwendig, um den positiven Trend, den man schon sieht, weiterzuführen.

Gerade die Auswirkungen des demografischen Wandels könne man sehr gut aufzeigen, ergänzt Nuschele: „Das sich wandelnde Verhältnis von Beitragszahler und Leistungsempfänger sollte den Menschen zeigen, dass es Einschränkungen bei der gesetzlichen Pension geben wird und an privater Vorsorge kein Weg vorbeiführt.“ Man müsse dies plakativ aufbauen, ist Otto überzeugt. Jungen Menschen müsste man erklären, „du bist jetzt 25, wenn du in Pension gehst, dann gibt es nur noch einen Erwerbstätigen für einen Pensionisten. Bei gleichen Beiträgen bedeutet das für dich nur noch die Hälfte der Pension. Bist du dir dessen überhaupt bewusst?“

Die wesentliche Rolle des Beraters bei der Altersvorsorge hebt Gadinger hervor: Spreche ein Berater das Thema nicht an, so sei dies wie „unterlassene Hilfeleistung“, wie wenn ein Arzt einem Menschen nicht helfen würde, dem es schlecht geht. Entscheidend sei der Beratungsprozess: Im ersten Schritt gehe es um die Standortbestimmung, im zweiten darum, Vorsorgelösungen darzulegen und einen Plan für die Vorsorge zu erstellen. „Und der dritte Schritt ist es, den Kunden lebenslang zu begleiten, den Vorsorgeplan auch anzupassn, denn Lebensumstände und Einkommenssituationen ändern sich.“

Zu den fachlichen Fähigkeiten komme aber noch eine emotionale Komponente dazu, so Nuschele. Menschen würden sich davor scheuen, die eigene finanzielle Situation transparent zu machen und die familiären Rahmenbedingungen offen zu legen. Gleichzeitig fehle der Appetit auf mögliche, unangenehme Ergebnisse einer Finanzanalyse. Daher sei es sehr wichtig, dass Berater neben der notwendigen Fachkompetenz auch ein hohes Maß an Empathie mitbringen, um den Kunden die Ängste nehmen zu können.

Es sei klar, dass die Lebensversicherung ein extrem attraktives Vorsorgemodell mit einem mittel- bis langfristigen Fokus sei, betont Gadinger. Die Frage sei aber, „bringt es der Berater hinüber, beim Kunden diesen mittel- bis langfristigen Fokus zu erzeugen?“ Allein durch die Steuervorteile und die Gestaltungsmöglichkeit für die Nachlassplanung sei die Lebensversicherung „das Vorsorgevehikel schlechthin für die breite Masse“. Dies müsse man bei den Beratern in den Fokus rücken, dann könnten sie mit ganz anderen Argumenten zum Kunden gehen.

Wichtig sei es, ganz nahe am Berater zu sein, sagt Zahrnhofer. Dies könne durch viele Kanäle, den persönlichen Kontakt, die persönliche Beziehung gelingen. Wichtig sei es auch, mit softwareunterstützten Prozessen und technischen Lösungen den Abschluss und die dafür nötigen Informationen einfach und transparent für den Berater bereitzustellen.

Für Berater sei es am wichtigsten, sich zu überlegen, wie eine professionelle Finanzberatung aus ihrer Sicht aussieht und welche Leistungen sie erbringen wollen, betont Nuschele. Unabhängige Versicherungsmakler und freie Vermögensberater würden in der Praxis finanzielle Konzepte bis zum 85. Lebensjahr und darüber hinaus erstellen. „Das bietet die Möglichkeit einer lebensbegleitenden Beratung und ist die Grundlage für eine laufende Vergütung und ein regelmäßiges Einkommen für Beraterinnen und Berater“, so Nuschele.

Was tun mit dem Geld aus der Pensionskasse?

Ebenfalls im Regierungsprogramm vorgesehen ist die Möglichkeit, zum Pensionsantritt das angesparte Kapital aus der Pensionskasse herauszunehmen. Damit könnte ein neuer Bedarf entstehen, Geld auch in höherem Alter anzulegen.

In der Versicherungsbranche würden dafür „sehr vernünftige Einmalerlagslösungen“ angeboten, betont Nuschele, bei Bedarf auch kombiniert mit Sparverträgen. Grundsätzlich könne die Möglichkeit einer Entnahme sehr attraktiv sein, zum Beispiel wegen der Allokation, der steuerlichen Situation oder aufgrund der allgemeinen Lebensumstände. Für die Menschen bestehe dadurch die Möglichkeit, „nochmals in die Finanzplanung einzusteigen und für den Rest des Lebens einfach noch mal einen aktualisierten Plan aufzustellen“.

Kritisch sieht diese Möglichkeit allerdings Otto: „ich bin da sehr zwiegespalten, wenn aus der Pensionskasse das Geld rausgenommen und wieder in ein neues Pensionsprodukt investiert wird. Dass das Geld aus der Pensionskasse in die private Pension rübergeschoben wird und da wieder neue Kosten verursacht werden für den Kunden, halte ich für bedenklich.“ Im Endeffekt müsste es sich um eine provisionsfreie Variante handeln, daran habe aber der Vermittler überhaupt kein Interesse, so Otto. Und darüber hinaus würde auch noch Versicherungssteuer anfallen: „Wir können ja nicht Produkte entwickeln, wo wir keine Versicherungssteuer an den Staat abführen, es sei denn, die Versicherungssteuer wird abgeschafft.“

Zahrnhofer hält es hingegen unter bestimmten Umständen für sinnvoll, die Möglichkeit zu schaffen, Gelder aus der Pensionskasse oder der Abfertigung für eine Versicherung zu verwenden – etwa dann, wenn jemand mit der Performance seiner Pensionskasse unzufrieden ist. Die Versicherungswirtschaft biete dafür zahlreiche Optionen: Sie könne kostengünstige und effiziente Produkte bereitstellen, die individuell auf den jeweiligen Risikoappetit zugeschnitten sind.

Anlegen im vorgerückten Alter

Grundsätzlich würden sich aufgrund der demografischen Entwicklung zukünftig immer mehr ältere Menschen die Frage stellen, wie sie für ihren letzten Lebensabschnitt Geld sinnvoll veranlagen können, so Gadinger. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung werde es zu Pensionszeiten von 25, 30 Jahren kommen, für Gadinger „ein Super-Zeitraum, um Geld noch sinnvoll zu veranlagen“, was auch mit Kapitalmarktlösungen möglich sei. Schließlich habe auch Warren Buffett den Großteil seines Vermögens erst nach dem 65. Lebensjahr gemacht: „Es gibt Möglichkeiten, auch ab 65 vom Kapitalmarkt zu profitieren.“

Darüber hinaus biete die Lebensversicherung einen wesentlichen Vorteil gegenüber anderen Produkten: die Gestaltung der Nachlassplanung. „Gerade das Thema Nachlassplanung ist für die Generation über 65 ein wichtiges, und da kann die Lebensversicherung einen wichtigen Beitrag leisten.“ Denn in der Lebensversicherung könne ein Bezugsrecht vereinbart werden. Der Bezugsberechtige habe damit direkten Anspruch auf die Versicherungsleistung, womit diese im Ablebensfall nicht in die Verlassenschaft falle und somit nicht Teil eines langwierigen Verlassenschaftsverfahrens sei. Dies wiederum spare Geld und Zeit.

Jeder Kunde müsse für sich selbst entscheiden, ob er im höheren Alter noch das Risiko von Aktien eingehen will, betont Zahrnhofer. Eine wichtige Rolle komme dabei dem Berater zu, der auch Lebensberater sein und den Kunden ein ganzes Leben lang begleiten müsse. „Er muss das individuelle Risiko prüfen und sich ansehen, welche Anlagestrategie dazu passt. Davon abhängig kann man das entsprechende Produkt ansprechen.“ Eine Rolle spiele dafür – gerade für ältere Menschen – auch, dass die Recoveryzeiten an den Kapitalmärkten nach einer Krise immer kürzer werden, wie Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zeigen: „Wenn man die langfristige Entwicklung der Kapitalmärkte anschaut, sollte man Ruhe bewahren, auch wenn es einmal bergab geht“, so Zahrnhofer.

Die Frage, ob man älteren Menschen raten sollte, ins Risiko zu gehen, sei schwierig pauschal zu beantworten, betont auch Rechberger. Es sei aber klar, „wenn man Ertragschancen erzielen will, wird man ein Stück weit ins Risiko gehen müssen“.

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