Tatsächlich fällt es uns schwer, getreu dieser Börsen-Weisheit zu handeln. Die Praxis an der Börse zeigt, meist läuft es umgekehrt. Investments in der Gewinnzone werden häufiger verkauft als jene mit Verlusten. Warum? Ganz einfach: Unsere Wahrnehmung bewertet Gewinne und Verluste anders, als unsere Geldbörse.

Gewinn und Verlust - Reine Kopfsache

Die klassische Ökonomie nimmt an, dass wir im Vergleich zum  erwarteten Endwert einer Anlage bewerten, ob ein Gewinn oder Verlust besteht. Andere Vergleichswerte sind für uns nicht von Bedeutung. Soweit die Theorie. Tatsächlich nehmen wir Gewinn und Verlust ganz anders wahr. Ob eine Investition in der Gewinn- oder Verlustzone liegt, bewerten wir in Abhängigkeit zu einem Vergleichswert. Dieser kann der Einstandskurs, der letzte Höchstkurs oder unser Zielkurs sein. Liegt der aktuelle Kurswert im Vergleich zu diesem Bezugspunkt tiefer, so nehmen wir einen Verlust wahr. Liegt er darüber, empfinden wir einen Gewinn. Ändert sich der Bezugspunkt, ändert sich die Wahrnehmung zur Bewertung von Gewinn und Verlust.

Mensch ärgere dich nicht: Warum wir schlechte Verlierer sind

In zahlreichen Experimenten zeigten Tversky und Kahneman, dass wir Gewinne und Verluste unterschiedlich wahrnehmen. Tatsächlich schmerzt der Verlust von 1.000 Euro etwa zwei bis zweieinhalb Mal so stark, als die Freude bei einem Gewinn von derselben Summe groß ist. Dieses Missverhältnis beschreibt die Prospect Theorie, die erstaunliche Erklärungen zu unserem Verhalten in der Geldanlage liefert.

Gewinne: Theorie versus Praxis

Aus emotionaler Sicht reagieren wir im oben beschriebenen Beispiel äußerst rational. Die Freude über Gewinne nimmt nicht proportional zur Gewinnhöhe zu. Ein Beispiel: Unsere Freude über einen Gewinn von 20 Prozent ist groß. Wird das Investment gehalten und der Gewinn verdoppelt sich auf 40 Prozent, verändert sich die Gewinnfreude nur noch minimal. Gleichzeitig könnte der erzielte Gewinn von 20 Prozent auch wieder verloren gehen. Warum also halten? Die Frage ist berechtigt, denn die größte Freude wird mit einer baldigen Gewinnrealisierung ausgeschüttet. Es fällt demnach schwer, Gewinne laufen zu lassen.

Verluste: Theorie versus Praxis

Auch bei Verlusten ist unser emotionales Handlungsmuster rational. Analog zur Gewinnwahrnehmung verläuft auch die Verlustwahrnehmung nicht linear. Verlustzuwächse schmerzen emotional weniger. Der Schmerz bei einem Verlust von 20 Prozent ist deutlich messbar. Erhöht sich dieser auf 40 Prozent, steigt der Schmerz nur noch marginal an. Ein Verlust ist für uns emotional nur dann als solcher wahrnehmbar, wenn wir diesen realisieren. Solange investiert ist, bleibt die Hoffnung auf eine Trendwende und damit die Idee, Buchverluste wieder aufzuholen. Daher macht es emotional gesehen keinen Sinn, bei Buchverlusten zu verkaufen.

Emotional und finanziell effizient agieren

Das natürliche emotionale Verhaltensmuster wirkt der gewinnbringenden Veranlagung diametral entgegen. Was lässt sich dagegen tun? Ein einfacher Trick kann helfen. Verkaufsentscheidungen sollten nicht mit Blick auf Vergleichswerte, etwa Zielkurs oder Einstandskurs, getroffen werden. Stellen Sie sich stattdessen folgende Frage: Wäre ich aktuell in dieses Investment nicht investiert, würde ich jetzt kaufen? Lautet die Antwort ja, dann halten Sie die Position. Lautet Ihre Antwort nein, dann haben Sie sich gerade ein klares Verkaufssignal gegeben. Egal, ob Sie Gewinne oder Verluste realisieren.

Die Finanzpsychologie hat viele weitere spannende Erkenntnisse zu bieten. Und: Deren Anwendung tut Ihrer Geldanlage gut!


Autor
Mag. Birgit Bruckner, MSc, CIIA
Selbständige Beraterin und Trainerin
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