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Was die Börsen 2020 bewegt

Interview | Börsen-Kurier

Handelskonflikte, Brexit und Italien sorgen laut Ökonom Keuschnigg für Nervosität

Julia Kistner, Börsen-Kurier: Warum haben sich das Wirtschafts- und das Börsenjahr 2019 doch besser entwickelt, als man glaubte?

Christian Keuschnigg: Es gibt natürlich die verschiedensten Einflüsse auf die Kursentwicklung, ganz jenseits der fundamentalen Größen. Zunächst einmal spiegeln Börsenkurse die Erwartungen über die Zukunft wider, so wie sie sich mit dem aktuellen Informationsstand darstellt. Wenn besondere Ereignisse bis hin zu den berüchtigten Tweets des amerikanischen Präsidenten kommen, kann das die Erwartungen und damit die Handelsentscheidungen und Kurse schnell ändern. Daneben gibt es Optimismus und Pessimismus und schwankende Stimmungsindikatoren. Niedrige Zinsen, hohe Liquidität und dazu noch gute Konjunkturprognosen lassen die Kurse steigen. Im Moment scheint sich aber wieder Pessimismus breit zu machen. Konjunkturprognosen werden reihum zurückgeschraubt. Da werden manche nervös. Am besten ist es wohl, nicht auf jede aktuelle Nachricht gleich mit erratischen Entscheidungen zu reagieren, sondern langfristig zu investieren.

Börsen-Kurier: Was sind die großen Herausforderungen 2020?

Keuschnigg: Definitiv sind Brexit und Handelskonflikte eine große Herausforderung. Verschiedene Politiker scheinen völlig zu vergessen, dass Handel und internationale Arbeitsteilung die Wohlfahrtsquelle schlechthin sind. Jeder macht das, was er am besten kann, und exportiert es weltweit. Wir fahren auch besser damit, das zu importieren, was andere viel günstiger und auch in guter Qualität produzieren, als es teuer selbst zu machen. Wir brauchen klare Spielregeln und einen fairen Wettbewerb im internationalen Handel. Nachhaltiges Wachstum kommt bestimmt nicht von Abschottung, Protektionismus und gegenseitiger Behinderung. Den Brexit können wir verschmerzen, aber die Briten werden es teuer bezahlen, wenn sie keine Einigung mit der EU schaffen, die ihnen die Teilnahme am großen gemeinsamen Markt ermöglicht. Dazu muss man halt auch bei den gemeinsamen Spielregeln mitmachen und zur Kooperation bereit sein.

Ein Auge werfen muss man auch auf Italien. Der Zustand des Landes ist prekär und das größte Problem der Italiener selber. Aber wenn es dort schiefläuft, ist auch im Rest der Eurozone Feuer am Dach. Das ist definitiv eine große Herausforderung, die angesichts der politischen Entwicklungen und der sich jetzt wieder verschärfenden wirtschaftlichen Lage akut werden könnte.

Börsen-Kurier: Wie könnte man den österreichischen Kapitalmarkt beleben? Wie den Venture Capital-Markt?

Keuschnigg: Da muss man wirklich an einer ganzen Reihe von Schrauben drehen und einen systemischen Ansatz wählen. Die Akteure in Österreich - von der Börse bis zu den privaten Investmentgesellschaften - sind so spitze und leistungsfähig wie in allen anderen Ländern auch. Aber der Kapitalmarkt ist im Volumen viel zu klein. Das kann auch die beste Börse nicht kompensieren. Zwei Drittel der heimischen Staatsschuld werden deshalb im Ausland platziert. Meine Stoßrichtungen wären: das institutionelle Anlagevolumen ausbauen, z.B. die heimischen Pensionskassen. Diese verwalten in der Schweiz 120 % des BIPs und bei uns nicht einmal 10 %. Dann würde ich die steuerliche Diskriminierung des Risikokapitals beseitigen, also Eigenkapitalzinsabzug einführen und Verlustausgleich und Vortrag ausbauen. Mit einer steuerlichen Bevorzugung des risikoscheuen Fremdkapitals stärkt man bestimmt nicht die Risikobereitschaft und das innovative Unternehmertum. Ich würde auch einen österreichischen Wachstumsfonds einrichten. Versehen mit einer staatlichen Garantie könnte dieser viel Geld zu Triple-A-Konditionen aufnehmen und an die privaten Wagniskapitalgesellschaften weiterreichen, die dann in Start-ups investieren. Wenn der Staat Haftungen für Exportgarantien von gut 26 Mrd Euro aufnimmt, kann er auch für 250 bis 500 Mio Euro einen Wachstumsfonds garantieren, der dazu da ist, Finanzierung für innovative Start-ups zu mobilisieren und die nächste Generation von wachstumsstarken Exporteuren heranzuzüchten.

Börsen-Kurier: Sie lehren in der Schweiz. Was könnte Österreich von der Schweiz lernen und umgekehrt

Keuschnigg: Wir gehen unseren eigenen Weg und müssen die Schweizer nicht kopieren. Auch dort gibt es Probleme. Aber von einigen Dingen, die in der Schweiz bestens funktionieren, könnte man sich tatsächlich inspirieren lassen.

Sie investieren kräftig in die Grundlagenforschung. Sie stellen ihre Alterssicherung auf drei starke Säulen anstatt auf ein Bein wie in Österreich. Über ihre Pensionskassen wird die gesamte Bevölkerung zu Kapitalisten und ist breit an der Wirtschaft beteiligt. Und schließlich treiben die Schweizer mit Steuerwettbewerb und hoher Finanzautonomie die Kantone und Gemeinden an, den Bürgern und der Wirtschaft mehr Service zu bieten und für eine günstige Steuerbelastung zu kämpfen. Ich wäre sehr dafür, in Österreich den Staat stärker zu dezentralisieren und den Ländern und Gemeinden echte Finanzautonomie zu geben. Sie sollen an allen Hebeln drehen können. Wie soll Politik sonst gelingen? Dann könnten sie nicht nur mit Ausgaben glänzen, sondern würden endlich auch für eine günstige Steuerbelastung kämpfen. Man kauft ja auch kein dickes Auto, ohne nach dem Preis zu fragen. Einnahmen- und Ausgabenverantwortung gehört einfach zusammen. Die ausgebaute direkte Demokratie, mit denen die Bürger regelmäßig in Gemeinden, Kantonen und Bund ein Machtwort sprechen und für eine bessere Erdung der Politik sorgen, gefällt mir übrigens auch ganz hervorragend. Dort ist der Staat für die Bürger da, und nicht umgekehrt.

Börsen-Kurier: Die Schweizer Notenbank kauft auch Schweizer Aktien auf. Wäre damit den europäischen Kapitalmärkten auch geholfen, wenn das die EZB täte?

Keuschnigg: Die Aufgabe einer Notenbank ist es, die Wirtschaft zu stabilisieren und für stabile Preise zu sorgen, und nicht Finanzgeschäfte zu betreiben. Vorübergehend mögen ja Marktinterventionen über Wertpapierkäufe sinnvoll sein, aber nur bei großen Verwerfungen und vorübergehend. Da ist die Schweizer Nationalbank Gefangene der EZB. Aber dauerhaft muss die Finanzwirtschaft in Händen der Privatwirtshaft bleiben.

Börsen-Kurier: Sind Österreichs bzw. Europas Banken und Versicherungen gut aufgestellt für eine Finanzkrise 2.0? Rechnen Sie damit in absehbarer Zeit, wenn den Notenbanken die „Munition“ ausgeht

Keuschnigg: Angesichts der wesentlich strengeren Regulierung stehen heute Banken und Versicherungen wesentlich besser da. Außer in einigen Ländern, wie in Italien, wo der Anteil fauler Kredite viel zu hoch ist, sehe ich die Banken nicht mehr im Zentrum. Allerdings fängt die Sicherheit der Banken bei ihren Kunden an, also bei Staat, Haushalten und Unternehmen. Die großen Krisenherde sind heute Staaten wie Italien, die massiv überschuldet sind und ihre Schulden nicht wirklich im Griff haben. Aber auch bei den Haushalten und Unternehmen muss man ständig aufpassen, dass der Eigenmittelanteil bei Immobilienbesitz und bei der Finanzierung von Investitionen hoch genug ist. 

Christian Keuschnigg ist Professor für Nationalökonomie an der Universität St. Gallen und leitet das Wirtschaftspolitische Zentrum St. Gallen und Wien.

 

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