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Warum die EZB die Zinsen senkt

Roman Steinbauer | Börsen-Kurier

Richtungsweisende Stellungnahmen Mario Draghis wurden vermisst.

Der EZB-Entscheid einer auf -0,5 % reduzierten Bank-Einlagefazilität (Zins) überraschte den Finanzmarkt nicht. Als Grundlage der Maßnahmen dienten dem Präsidenten die „Beharrlichkeit der Abwärtsrisiken“, „die Schwäche des internationalen Handels“, der die europäische Industrie beeinträchtige, und herabgesetzte Inflationsprognosen. Das geschätzte BIP-Wachstum des Euro-Raums reduzierten die Währungshüter auf 1,1 % in 2019, 1,2 % für 2020 sowie 1,4 % für das Jahr 2021, obwohl zudem noch die künftigen Energiepreise tiefer angesetzt wurden.

Der Ausschlag der Verunsicherung erhöht sich indessen deutlich. Der Reaktivierung des Krisenmodus mit erneuten Anleihen-Ankäufen im Rahmen von monatlich 20 Mrd. EUR ab 1. November dieses Jahres wurde kein Laufzeitende zugefügt. Stattdessen die Worte: „So lang wie notwendig.“ Als Zielsetzung gelte es, „eine signifikante Steigerung der niedrigen Inflationserwartungen zu schüren“. Dass weitere Maßnahmen folgen könnten, unterlegte Mario Draghi: „Die EZB behält sich die Gedankenfreiheit zu einem QE offen“, um anzuhängen: „Notfalls werden wir alle zur Verfügung stehenden Finanzinstrumente einsetzen, um neu zu justieren.“ Der Hinweis „die Gefahr einer Rezession ist klein, aber steigt etwas“, half nicht, eine gefestigte EZB-Einschätzung der gegenwärtigen Lage zu erkennen. Wiederholend hingegen: „Nationale Reformen müssen substanziell umgesetzt werden, um eine notwendige Stärkung der Widerstandskraft der europäischen Wirtschaft herbeizuführen.“

Ein abgestrittenes Schielen auf Währungsrelationen

Unglaubwürdig wirkten für den Beobachter die Antworten auf heikle Fragen der Medienvertreter zu angestrebten Relationen im Währungsgefüge und zu „helicopter money“. Wohl, um nicht eine Provokation Richtung Weißem Haus ausmachen zu können, wich Draghi verneinend aus: „Ist keine Option, diskutierten wir nicht und ist nicht unser Mandat. Wir zielen auf keine Wechselkursverhältnisse ab.“ Schlüssig war hingegen sein Hinweis auf die geringe Börsen-Kapitalaufbringung auf dem Kontinent: „Europas Wirtschaft ist von der Basis heraus Bank-finanziert.“ Ein weiteres Mal verteidigte er bisher getroffene Maßnahmen klar: „Negative Zinsen generieren viele positive Wachstumseffekte.“ Mehrmals wurden seitens der Journalisten ungünstige Nebeneffekte der offensiven Notenbankpolitik hinterfragt. „Die haben wir auf den Monitor und nehmen wir ernst“, erwiderte Draghi. Zur harschen Kritik des Chefs der Deutschen Bank, Christian Sewing, gegenüber dem Handelsblatt, die Niedrigzinsen würden das Finanzsystem als Ganzes gefährden, verpuffen und nur die Vermögenspreise aufblasen, erwiderte er: „Banken wollen von Natur aus höhere Zinsen.“ Zur dramatischen Lage renditeloser Pensionsfonds in Europa roch es gar nach etwas Zynismus: „Langfristig profitieren auch diese durch eine stimulierte und eine anspringende Konjunktur.“ Einseitig wirkend: Der EZB-Zinspolitik vergangener Jahre schrieb er den Aufbau von „11 Millionen“ geschaffener Arbeitsplätze zu.

Zum anstehenden Wechsel an der Spitze der EZB (zu Christine Lagarde) und den getroffenen Entscheidungen bemerkte Draghi: „Da kann eine Neubewertung der Lage kommen.“

Auf den Hinweis, für die größte Volkswirtschaft Europas (Deutschland) seien die Maßnahmen nicht angebracht, weigerte sich der noch bis November agierende EZB-Chef, nationale Auswirkungen zu bewerten: „Welcher Staat vom Paket mehr profitiert oder nicht, diskutieren wir nicht.“
 

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