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Niedrigste Arbeitslosenquote seit August 2008

Michael Kordovsky | Börsen-Kurier

Aber Zeitverzögerungen und Ausblick trüben den Blick

Die jährlichen Arbeitskosten pro Stunde stiegen bereits um 2,4 % im ersten Quartal 2019 und im April entwickelte sich die Arbeitslosenquote im Euroraum weiter rückläufig. In einzelnen Branchen ist das Wachstum mangels Fachkräften bereits begrenzt. Auf der anderen Seite sinkt die Investitionsbereitschaft der Firmen im Zuge eines Abschwungs, doch die Timelags am Arbeitsmarkt sind manchmal sehr groß. Somit relativiert sich die Freude an der Nachricht, dass im Euroraum in den zwölf Monaten bis April 2019 die Arbeitslosenquote um 0,8 %-Punkte auf 7,6 % zurückging (März 2019: 7,7 %), was der niedrigste Stand seit August 2008 ist.

In der gesamten EU28 verharrt seit März 2019 die Quote mit 6,4 % auf den niedrigsten Stand seit Beginn der monatlichen Reihen zur EU-Arbeitslosigkeit im Jänner 2000. Die niedrigsten Arbeitslosenquoten mit je 2,1, 3,2 bzw. 3,3 % wiesen zuletzt Tschechien, Deutschland und die Niederlande auf, die höchsten Italien (10,2 %), Spanien (13,8 %) und Griechenland (18,5 % im März).

Konjunkturelle „Nachzügler“

Aber wir befinden uns bereits in der zweiten Junihälfte und diese Daten hinken weit hinterher, wobei die Arbeitslosenquote an sich schon ein „Nachzügler“ im Konjunkturzyklus ist. Wenn Auftrags- und Umsatzeinbußen einsetzen, wartet das Management mit konkreten Personalentscheidungen in der Regel einmal ab, wie nachhaltig der Rückgang ist. Es folgen Management-Diskussionen. Hat man sich einmal zu einem Personalabbau durchgerungen, dann gibt es noch Kündigungsfristen zu beachten. Es können also von Auftragsrückgang bis wirksamen Personalabbau durchaus zwei bis drei Quartale vergehen.

Rückläufige Beschäftigungstendenzen

Aktuellere Daten generiert man aus umfragebasierenden Stimmungs- und Aktivitätsindikatoren. Nimmt man den am 28. Mai von der EU-Kommission veröffentlichten Economic Sentiment Indicator (ESI) und wirft in den zugrundeliegenden Datenreihen einen Blick auf die Beschäftigungserwartung der verarbeitenden Industrie, so fällt im Euroraum auf, dass mit Ausgangspunkt September 2018 der entsprechende Indikatorwert danach jeden Monat in Folge gesunken ist - von 8,1 Punkte auf 6,8 Punkte im Dezember 2018 und weiter auf 0,3 Punkte im Mai 2019 (April: 1,1 Punkte). Seit 1990 lag die Bandbreite zwischen -39,1 (Juni 1993) und +13,3 (Dezember 17). Der Durchschnitt betrug -7,6 Punkte. Konkret bedeutet dies rückläufige Entwicklungen auf hohem Niveau, wobei sich die Situation in Deutschland und der Slowakei deutlich verschlechtert hat.

Diese Daten decken sich auch mit dem „IHS Markit Einkaufsmanager Index Industrie Eurozone“, der zum vierten Mal in Folge im Kontraktionsbereich liegt. Die Auftragsbestände der Industrie nahmen gemäß der Umfrageergebnisse von IHS Markit zum neunten Mal hintereinander ab. Wegen Überkapazitäten kam es erstmals seit über viereinhalb Jahren wieder zu einem geringfügigen Stellenabbau, der sich jedoch fast ausschließlich auf Deutschland konzentriert, wo die Beschäftigung zum Dritten Mal hintereinander sank. Einen Stellenverlust signalisierte auch die spanische Industrie.

Diese aktuellen Trends und eine Entspannung an der Inflationsfront (nur noch 1,2 % Inflationsrate im Euroraum) sollten maßvollere Lohnrunden zur Folge haben. Somit hält sich in Europa die Gefahr von Lohninflation in engen Grenzen. Viel wahrscheinlicher ist, dass wir bereits das Tief bei den Arbeitslosenquoten gesehen haben und in den kommenden Monaten wieder mit einem marginalen Anstieg zu rechnen ist. Aus diesem Blickwinkel ist auch die jüngste Vorgangsweise der EZB zu betrachten, deren Weichen auf eine expansivere konjunkturstimulierende Geldpolitik bereits gestellt sind.

 

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