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Langfristig sicher gehen: global gestreut anlegen

Julia Kistner | Börsen-Kurier

Diversifizieren je nach Beitrag der Staaten zum weltweiten Bruttoinlandsprodukt.

Irgendwann fängt der Aufschwung am Kapitalmarkt irgendwo auf dem Globus gerade wieder an. „Das ist die Idee hinter einem global breit gestreuten Langfristportfolio“, erklärt Jan Altmann, ETF-Analyst der Vergleichsplattform justETF.com, im Gespräch mit dem Börsen-Kurier. „Ich orientiere mich da wenig an Prognosen. Ich nehme die existierende Aufteilung des Bruttoinlandsprodukts. So steuern die USA zum weltweiten Bruttoinlandsprodukt aller 47 Länder, die im ACWI (MSCI All Country World Index, Red.) vertreten sind, etwa 28 % bei, Europa 24 %, Japan 6 %. Auf Asien-Pazifik-Staaten wie Australien und Neuseeland entfallen 3 %. Rund 39 % wird von den Emerging Markets erwirtschaftet, davon übrigens nur 3 % von Russland.“ Beim chinesischen Kapitalmarkt müsse man sich allerdings vor Augen halten, „dass es für ausländische Investoren nur beschränkt möglich ist, in lokale Unternehmensgrößen zu investieren. Deshalb hat auch der MSCI-Emerging-Markets-Index, an dem sich viele Schwellenstaaten-Fonds und ETFs orientieren, den chinesischen Kapitalmarkt nur mit 20 % seines tatsächlichen Wertes aufgenommen“, erklärt Altmann. China habe jedoch großes Interesse, hier künftig mehr ausländisches Kapital zuzulassen. 

Chancen im Riesenreich

Momentan sieht Tilmann Galler, Chefstratege bei Goldmann Sachs Asset Management, jedenfalls viel Gewinnpotenzial in China: „Denn der chinesische Kapitalmarkt befindet sich auch durch die nach wie vor expansive Geldpolitik noch im Aufwärtszyklus. Generell hat Asien einen ganz anderen Inflations- und Zinszyklus als wir, das heißt Aktien und Anleihen verhalten sich ganz anders als auf den amerikanischen und europäischen Märkten. Deshalb sind Südostasien und China schon aus Diversifikationsgründen sehr interessant. Gerade die Asean-Region ist durch Covid und den Einbruch des Tourismus sehr zurückgeworfen worden und könnte aufholen.“

Politische Risikoprämie einkalkulieren

Bei aller Euphorie für die Emerging Markets, die man bei einem Welt-BIP-Anteil von knapp 40 % als Anleger wohl nicht mehr ausklammern kann, sollte man die politischen Gefahren entsprechend mit Risiko-Prämien berücksichtigen, empfiehlt Philipp Vorndran, Kapitalmarktstratege von Flossbach und Storch: „Sie müssen global anlegen, aber Sie müssen sich immer überlegen, welche Risikoprämie brauche ich, damit politische Unsicherheiten abgedeckt sind.“ Gemeint ist zum Beispiel, dass aufgrund der höheren politischen Gefahren in China etwa ein chinesischer Chiphersteller deutlich mehr Rendite abwerfen muss als ein amerikanischer, um gleich attraktiv zu sein. So war die einzufordernde Risikoprämie für die Unsicherheit im Staatengebilde Russland und bei der Rechtsunsicherheit für Auslandsinvestoren für Flossbach und Storch immer viel zu groß, sodass die vermeintlich günstige Gazprom immer viel zu teuer gewesen sei, um investierbar zu sein, erklärt Vorndran: „Das muss ich mich immer und überall auf der Welt fragen, ob ich als Aktionär überhaupt die Chance habe, meine Aktionärsrechte durchzusetzen oder ob es auch sein kann, dass der Cashflow des Unternehmens, in das ich investiert bin, auf den Staat alloziert wird.“ So könnte, wenn die Spannung zwischen China und einerseits Taiwan sowie andererseits den USA zunehmen, auch hier wieder ausländisches Kapital in chinesisches Unternehmen beschnitten werden. Durch neue Machtblöcke könnten schnell wichtige Absatzmärkte für chinesische, aber auch europäische Unternehmen wegfallen. 

„Wenn sich neue geopolitische Machtblöcke entwickeln, dann entstehen Bewegungen an ganz anderen Fronten. Üblicherweise entsteht in solchen Situationen viel Unsicherheit und genau dann bewährt sich die geopolitische Diversifikation, weil ich ja gar nicht weiß, was letztendlich passiert“, unterstreicht Altmann die Sinnhaftigkeit, überall auf der Welt investiert zu sein. Nur so ließe sich ein halbwegs wetterfestes Depot zusammenstellen. 

Börsen bilden nicht das wahre BIP ab

Einen Schönheitsfehler hat die Strategie allerdings schon, sein Kapital auf die Weltbörsen so zu verteilen, wie die jeweiligen Staaten zum internationalen BIP beitragen: Die Marktkapitalisierung an den Börsen spiegelt nicht immer die Wirtschaftsleistung eines Landes richtig wieder. Man denke nur an Österreich. Viele der erfolgreichen Unternehmen sind Klein- und Mittelbetriebe, die rein im Familienbesitz und nicht börsennotiert sind.

Ob das Weltbruttoinlandsprodukt jetzt zu 100 % richtig abgebildet ist oder nicht, sei jedoch gar nicht so wichtig, kontert Altmann. Wichtig sei, grundsätzlich eine breite Risikostreuung über den Globus zu haben, aber nicht nur das. Altermann streue persönlich nicht nur nach Regionen, sondern auch nach Assetklassen. „Rohstoffe sind jedoch sehr spekulativ, die würde ich meinem ETF-Portfolio maximal fünf bis zehn Prozent beimischen. Ich bin kein Freund von Sektor-Wetten, etwa auf Öl oder Gas. Die sind für Privatanleger schwer kalkulierbar.“

Altmann hat immer auch Anleihen im Portfolio. Bei Anleihen gehen die Meinungen jedoch ausein-ander. Mit den typischen supersoliden zehnjährigen Bundesstaatsanleihen etwa von Deutschland oder Österreich kann man bei der aktuellen realen Negativverzinsung immer noch keinen Blumentopf verdienen. Zehnjährige US-Treasuries rentieren zwar derzeit mit rund 2,6 %. Aber auch damit schlägt man trotz allem noch nicht die aktuelle Inflation. 

Cash ist keine Lösung

Viel Kaufkraft verliert man aber vor allem, wenn man seine Ersparnisse auf dem Konto oder Sparbuch verkümmern lässt. Der Realzins, der die Inflation berücksichtigt, lag im März 2022 bei minus 6,2 %. Sollte das Inflations- und Zinsumfeld so bleiben, dürften nach Schätzungen des Think Tanks Agenda Austria die Österreicher von den 92,8 MrdE auf ihren Sparbüchern rund 6,2 Mrd. Euro an Kaufkraft pro Jahr verlieren. Auf den täglich fälligen Konten belaufen sich die Einlagen derzeit auf 202,1 Mrd. Euro. Hier verlieren Österreichs Sparer 13,6 Mrd. Euro im Jahr. 


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