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Im Blindflug durch die Berichtssaison

Jens Korte | Börsen-Kurier

An der Wall Street läuft die Berichtssaison auf Hochtouren. Im Wochenverlauf haben Unternehmen wie Coca-Cola, Microsoft, IBM, Intel, Twitter oder die großen US-Airlines die Quartalsberichte veröffentlicht. In den kommenden Tagen folgen die Geschäftszahlen von Google, Apple, Facebook und Amazon. Die Tech-Schwergewichte waren im bisherigen Jahresverlauf kaum zu stoppen und zogen den Nasdaq Composite wochenlang von einem Allzeithoch zum nächsten. Insgesamt dürfte es eines der miesesten Quartale in der Geschichte der Wall Street werden. Analysten erwarten, dass die Gewinne der im S&P 500 Index notierten Unternehmen im zweiten Quartal im Schnitt um rund 40 % gegenüber Vorjahreszeitraum weggebrochen sind.

Zu den Sektoren, die mit am stärksten betroffen sind, gehören Energie, Reise, Industrie und vor allem auch Konsumgüter, die nicht elementar für den täglichen Gebrauch sind. Ende kommender Woche stehen die Zahlen der großen Ölkonzerne Exxon und Chevron an. Insgesamt könnte der Gewinn in der Branche um mehr als 140 % gefallen sein. Laut dem Datendienst FactSet wird nach einem kräftigen Gewinn im Vorjahr nun ein schwerer Verlust erwartet. Letztlich spielt es keine große Rolle, wie die Unternehmen in den vergangenen drei Monaten abgeschnitten haben. Niemand an der Wall Street erwartet große Sprünge. Die große Frage lautet viel mehr, wie zuversichtlich blicken die Topmanager in die Zukunft.

Der Weg voraus gestaltet sich nach wie vor als regelrechter Blindflug. Rund 200 Unternehmen aus dem S&P 500 hatten zuletzt auf einen Jahresausblick verzichtet. Zu unsicher bleibt die Verbreitung des Virus und damit verbunden die Normalisierung der Wirtschaft. Ebenfalls noch unklar ist, ob und in welcher Form Washington das Land stimulieren wird. Das Programm zusätzlicher, wöchentlicher Arbeitslosenunterstützung in Höhe von 600 USD läuft zum Ende des Monats aus. In diesem Umfeld erscheint eine seriöse Prognose für die kommenden Quartale unmöglich. Letztlich hängt fast alles an der Geschwindigkeit, mit der ein Impfstoff entwickelt, getestet und milliardenfach produziert werden kann.

Den Auftakt in diese Berichtssaison haben wie immer die Banken gemacht. Brilliant lief das Geschäft in der Breite nicht. Doch es gab vereinzelt dicke Überraschungen. Die Banken haben teils davon profitiert, dass sich Unternehmen mit dem billigen Geld der Notenbank noch stärker verschuldet haben. Die Finanzinstitute haben entsprechend die Ausgabe von neuen Anleihen betreut. Teils kamen den Banken auch die starken Bewegungen am Aktienmarkt zu Gute. Die größte US-Bank, JP Morgan, lag mit einem Quartalsumsatz von 33 Mrd. USD fast 3 Mrd.USD über den Schätzungen. Allerdings legt die Bank mehr als 8 Mrd. USD für drohende Kreditausfälle zurück und erwartet nicht nur für das aktuelle sondern auch noch das nächste Jahr rückläufiges Wirtschaftswachstum in den USA. Natürlich hat auch JP Morgan keine zuverlässige Glaskugel. Aber der gedämpfte Ausblick unterstreicht, dass eine Normalisierung der Wirtschaft länger dauern könnte, als es die Aktienkurse an der Wall Street in den vergangenen Monaten suggeriert haben.

 

 

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