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Fed steht mit Rücken zur Wand

Michael Kordovsky | Börsen-Kurier

Droht trotz Rezessionsgefahr die Inflationsbekämpfung der Fed außer Kontrolle zu geraten?

Im Mai steht im Euroraum eine Inflationsrate von 8,1 einer von 8,6 % in den USA gegenüber, während der US-Arbeitsmarkt mit 3,6 % bereits sehr ausgetrocknet erscheint. Die Kapazitätsauslastung in der Produktion stieg in den USA im April um 0,6 %-Punkte auf 79,2 % und somit auf den höchsten Stand seit April 2007. Vor allem der Bergbau ist gut ausgelastet. Rohstoffe und Vorprodukte werden knapper. 

Somit hat die Fed erstmals seit Mitte November 1994 vergangenen Mittwoch eine Anhebung der Fed Fund Rate um weitere 0,75 %-Punkte (!) auf 1,50 bis 1,75 % beschlossen, was jedoch Fed-Chairman Jerome Powell als „ungewöhnlich und unüblich“ kommentierte. Mittlerweile sind binnen eines Jahres in den USA die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen um 172 Basispunkte auf 3,21 % gestiegen und es gibt einen Indikator, der für ein wesentlich höheres Zinsniveau sprechen würde.

Taylor-Regel würde für Volcker-Szenario sprechen

Es ist die alte Orientierungshilfe bei der Bestimmung der Höhe der Leitzinsen, nämlich die Taylor-Regel, benannt nach dem US-Ökonomen John B. Taylor die besagt, dass der Leitzins umso größer sein sollte, je mehr die Inflationsrate den Zielinflationswert (USA: 2 %) übersteigt und je stärker das Produktionspotenzial ausgelastet ist. In den USA wäre demnach ein Leitzinsniveau von 9,8 % gerechtfertigt - so kürzlich veröffentlichte Ableitungen der Taylor-Regel durch Volkswirte der Credit Suisse. Kritische Stimmen sprechen bereits von einem erforderlichen „Paul-Volcker-Szenario“, benannt nach Paul Volcker, der von 6. August 1979 bis 11. August 1987 Vorsitzender des Federal Reserve Systems war. Sein „Markenzeichen“: massive Zinsanhebungen zur Bekämpfung einer teils zweistelligen Inflation infolge des zweiten Ölschocks, dessen Auslöser in der islamischen Revolution und dem ersten Golfkrieg (Irak versus Iran mit Beginn am 22. September 1980, Anm.) lag. 

Der Ölpreis (WTI) stieg von Ende 1978 bis zum Peak im Jahr 1980 von 14,85 auf 39,50 USD. Von Dezember 1978 bis August 1979 stieg die Inflation in den USA von 9,0 auf 11,8 % und erreichte im März 1980 ein Hoch von 14,8 %. Volkers Fed reagierte mit radikalen Zinsschritten: Der erste Zinsschritt war am 15. August 1979 von 10 und 5/8 auf 11 %. Bis in den späten März 1980 hinein stiegen die Leitzinsen auf 20 %. Doch die Rezession hatte bereits im Jänner 1980 begonnen und endete im Juli 1980. Ab April 1980 bis 5. Juni 1980 reagierte die Fed mit einer Senkung auf eine Bandbreite von 8,5 zu 9,5 %. Da aber die Inflation hartnäckig war, folgte bis in den späten Mai 1981 eine Anhebung der Fed Fund Rate auf 20 %! Dann begann ab Juli 1981 die nächste Rezession, die bis November 1982 anhielt. Während dieser Phase senkte die Fed ihren wichtigsten Leitzins per Saldo auf 9,0 %. Der Inflationsspuk war beendet und die Inflationsrate lag nur noch bei 6,2 % im Jahresschnitt 1982 gefolgt von 3,2 % im Jahr 1983. 

Auch jetzt besteht wieder Inflationsgefahr. Aber im Gegensatz zum vierten Quartal 1980 liegt heute die Staatsverschuldung im vierten Quartal 2021 mit 123,4 % des BIP rund viermal so hoch (verglichen mit 31,2 % des BIP). Nimmt man den Faktor 4 auch bei den Leitzinsen, dann wären 475 bis 500 Basispunkte heute schon die äußerste Grenze - ein Wert, der sich auch mit der Einpreisung zukünftiger Leitzinsen am Futuresmarkt deckt: Das FedWatch Tool der CME preist bis zur Fed-Entscheidung am 1. Feber 2023 bereits mit 38,3 % Wahrscheinlichkeit ein Leitzinsniveau von 3,75 bis 4,00 % ein und mit einer Wahrscheinlichkeit von 21,7 % sogar ein noch höheres Niveau. 4,00 bis 4,25 % werden mit einer Wahrscheinlichkeit von 19 % beziffert - so die Daten am 17. Juni. Blickt man aber weiter bis 26. Juli 2023 in die Zukunft, liegt die eingepreiste Wahrscheinlichkeit von 3,75 bis 4,00 % Leitzinsen nur noch bei 31,2 %. Die aktuellen Konjunkturabschwung-Tendenzen werden ernst genommen. So äußerte Powell sich nach der jüngsten Zinsentscheidung wie folgt: „Die Fed ist entschlossen, die Inflation zu senken. Man versuche dabei nicht, eine Rezession herbeizuführen.“

Rezessionsgefahr

Doch Corona-Lockdowns und Ukrainekrieg machen Wirtschaftsprognosen zu einem schwierigen Unterfangen. Fakt ist, dass Steve Hanke, Professor für angewandte Wirtschaftswissenschaften der Johns Hopkins University, eine Rezession mit 65 %iger Wahrscheinlichkeit für realistisch hält. Begründung: Die Fed werde die Inflationsbekämpfung übertreiben und dann gehe die Geldmenge ziemlich stark zurück. Wenn das passiert, werde es eine Stagflation geben - ein Szenario, das Experten weitgehend erwarten. Und blickt man zurück in die Zeit der frühen 80er-Jahre, so folgten den massiven Zinsanhebungen gleich zwei Rezessionsphasen. 

Fazit

Eine erneute Rezession in den kommenden zwölf bis 18 Monaten ist kein Tabu mehr und könnte dann die Fed wieder zu einer Mäßigung der Geldpolitik veranlassen.


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