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ETF-Boom in Europa angekommen

Patrick Baldia | Börsen-Kurier

iShares-Experte Cohen erwartet starke Entwicklung des europäischen Marktes.

Stephen Cohen, Managing Director und Head of EMEA bei iShares, der ETF-Tochter von Blackrock, im Exklusiv-Gespräch mit dem Börsen-Kurier.

Börsen-Kurier: In den USA hat sich das ETF-Volumen in den vergangenen Jahren stark entwickelt, wo wird der europäische ETF-Markt in zehn Jahren stehen?

Stephen Cohen: Bislang wurde die Nachfrage am europäischen Markt von Asset Managern und Multi-Asset-Managern dominiert. Derzeit sehen wir, dass – wie früher in den USA – mehr und mehr institutionelle Investoren, Vermögensverwalter, aber auch Privatbanken passive Strategien für sich entdecken. Wir sind guter Dinge, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird und der Anteil in den Portfolios im kommenden Jahrzehnt von derzeit 10 auf 30 bis 40 % ansteigen könnte.

Börsen-Kurier: Welche Rolle werden Ihrer Meinung nach aktive Strategien in Zukunft spielen?

Cohen: Wir sind der Ansicht, dass jeder Anleger aktiv ist. Ein Portfolio wird ja auch aktiv zusammengestellt. Der Erfolg hängt maßgeblich von der jeweiligen Asset- und Faktor-Allokation und erst in zweiter Linie von der Einzeltitel- oder Fondsauswahl ab. Aktive Fondsmanager werden auch in Zukunft eine starke Marktstellung aufweisen. Auf der anderen Seite sind immer weniger Anleger bereit, für ihre Produkte mehr zu zahlen. Für sie sind ETFs zu einer kostengünstigen Alternative geworden.

Börsen-Kurier: Würden Sie auch in der aktuellen Situation – sprich in der längsten Hausse der Geschichte - Anlegern empfehlen in ETFs zu investieren?

Cohen: Auf jeden Fall. Man sollte zu jedem Zeitpunkt in jene ETFs investieren, mit denen man sich wohl fühlt. Wir glauben aber sehr wohl, dass derzeit beim Anlegen auf Widerstandsfähigkeit geachtet werden muss. So sollten etwa Staatsanleihen in jedem Portfolio eine Rolle spielen – nicht weil diese derzeit besonders attraktiv sind, sondern von einer diversifizierten Portfolio-Perspektive her. Im Aktienbereich könnten Qualitätsunternehmen oder Value-Papiere ein Portfolio widerstandsfähiger machen. Eine weitere Option ist Gold.

Börsen-Kurier: Was entgegnen Sie Kritikern, die meinen, dass sich ETFs in Krisenzeiten noch nicht bewährt haben?

Cohen: Viele Menschen glauben, dass man mit Beta-Strategien den ganzen Markt kauft. Dabei werden ETFs auch in Abschwungsphasen jenen Teil des Marktes abbilden auf den sie ausgerichtet sind. ETFs haben sich im Übrigen auch schon in schwierigen Börsephasen bewährt – etwa am High-Yield-Markt. Mir fallen in den vergangenen Jahren drei Situationen ein, als die Anleihemärkte sehr illiquide waren und Anleger ihre Papiere nur sehr eingeschränkt handeln konnten. Denken Sie z.B. an die heftige Reaktion der Märkte im Jahr 2013, als die Fed angekündigt hatte, ihre Anleihenankäufe zurückzufahren. Bonds gerieten daraufhin unter Verkaufsdruck. Einschlägige ETFs haben sich damals als sinnvoller Mechanismus erwiesen, um Risiko zu managen bzw. eine Orientierung zu geben, wo der Markt gerade steht.

Börsen-Kurier: Und wie sehen Sie den Preiskrieg in der ETF-Branche?

Cohen: In den USA wurden die Gebühren von ETFs bereits sukzessive zurückgefahren. Das gleiche erleben wir nun in Europa. Wir sehen das grundsätzlich als positive Entwicklung an, da niedrigere Gebühren gut für Anleger sind und auch neue Investoren anziehen. Aber auch wenn einzelne Werkzeuge weniger kosten, wird es ein gesamtes ETF-Portfolio auch in Zukunft nicht umsonst geben.

 

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