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Die wundersame Gewinn- und Verlustvermehrung

Julia Kistner | Börsen-Kurier

Neue Leasing-Bilanzierungsregeln IFRS 16 erhöhen die Bilanzsumme. 

Sir David Tweedie, der ehemalige Chef des Londoner International Accounting Standard Board IASB, wollte einmal wissen, wem denn das Flugzeug gehört, in dem er fliegt. Und siehe da: Der Jet tauchte in keiner Bilanz auf. Und „nur“ weil der „Bilanz-Forensiker“ den geleasten Flieger nicht auf seinem Radar hatte, müssen nun weltweit alle Unternehmen ab 2019 die Nutzungsrechte jedes Nullachtfünfzehn-Mietvertrages und die daraus resultierenden Verbindlichkeiten bilanziell erfassen. „Damit wird schon sehr übers Ziel geschossen“, findet Konrad Fuhrmann, Partner bei Deloitte Österreich, „der Umstellungsaufwand ist enorm. Es gibt nur wenige ATX-Unternehmen, die unter 100 Mietverträge verbuchen.“

Inwieweit IFRS 16 die Bilanzsumme durch die Berücksichtigung von Nutzungsrechten und Leasingverbindlichkeiten erhöht und ebenso die GuV-Darstellung und wesentliche Kennzahlen wie das EBITDA verändert, sei branchenabhängig. „Der Effekt liegt bei den ATX-Werten im Schnitt bei 255 Mio Euro“, erklärt Fuhrmann, „die Bandbreite reicht von 5 Mio Euro bei der S-Immo AG bis zu einer 1 Mrd Euro bei der Telekom Austria“. Auch müssen die Auswirkungen auf das EBITA und die Erhöhung der Verbindlichkeiten sich nicht immer decken, ergänzt Post-IR-Manager Gerhard Zach gegenüber dem Börsen-Kurier am Beispiel seines Unternehmens: „Die Sachanlagen haben sich um 275 Mio Euro, die Leasingverbindlichkeiten um 269 Mio Euro erhöht. Die daraus resultierende Differenz sind vorwiegend Mietzinsvorauszahlungen, die die Verbindlichkeit reduzieren.“

Welche Branchen sind wie betroffen?

Der größte Posten bei den Leasingkosten kommt für gewöhnlich aus Immobilienmietverträgen. Verbucht werden müssen alle Verträge ab Laufzeiten von mehr als einem Jahr. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO schätzt, dass sich die Miet- und Leasingverpflichtungen weltweit auf rund 3,3 Bio USD summieren. 

Solche fallen bei Immobilien-Aktiengesellschaften, die ihre Bürogebäude meist selbst besitzen, kaum ins Gewicht. Bei Industrieunternehmen wie der OMV mit ihrem Tankstellennetz oder der Post mit ihren Filialen und Logistikzentren dagegen umso mehr. „Am meisten sind Retail-Unternehmen, sprich der stationäre Handel betroffen, doch solche Werte fehlen uns ohnehin im ATX“, so der Deloitte-Experte, „bei den österreichischen Banken und Versicherungen wirkt sich IFRS 16 auch mit durchschnittlich 354 Mio Euro  an Leasingverbindlichkeiten aus. Doch bei den großen Bilanzsummen schlagen sie kaum zu Buche.“

Erhöht sich die Bilanzsumme bei gleichbleibendem Eigenkapital, dann reduziert sich die Eigenkapitalquote, bemerkt der Deloitte Österreich-Experte.

Noch etwas sollte man beim Vergleich mit früheren Bilanzen berücksichtigen, betont Heidi Kretschmer, Senior Managerin KPMG: „Durch die Aufteilung des Aufwands in einen Zins- und einen Abschreibungsanteil resultiert eine höhere Aufwandsbelastung in den ersten Jahren im Vergleich zum bislang nach IAS 17 linear verteilten Leasingaufwand; jedoch sinkt dieser durch Abnahme des Zinsaufwandes in den Folgejahren. Damit kommt es zum Front-Loading-Effekt, also einer stärkeren Belastung des Ergebnisses während der ersten Jahre der Vertragslaufzeit, der sich über die Gesamtlaufzeit jedoch wieder umkehrt.“

Leasing wird unattraktiver

Beim Leasinggeber ändert sich hingegen durch IFRS 16 bei der Bilanzsumme wenig bis nichts. Die neue Bilanzierungsrichtlinie könnte jedoch am Geschäftsmodell „nagen“. Denn das Leasing verliert einen wesentlichen Vorteil gegenüber Krediten: Es schien bisher in der Bilanz nicht auf. Jetzt sieht man auf einem Blick, ob jemand viele eigene Immobilien besitzt oder „nur“ eingemietet ist und zu welchen Konditionen.

„Auf das Geschäft hat IFRS 16 bislang nur geringe Auswirkungen“, berichtet Günter Schmidt, der Leiter des Steuerausschusses im Österreichischen Leasingverband, „die weitaus überwiegende Anzahl der Leasingnehmer sind KMU, die nur einen UGB-Jahresabschluss erstellen. Nicht viele Unternehmen bilanzieren nach IFRS.“ Auch habe sich Leasing unabhängig von der Art der Bilanzierung als interessante Finanzierungsalternative in Österreich etabliert. „Zudem gibt es auch bei den neuen IFRS-Bilanzierungsrichtlinien Spielräume, wie die Ausnahmen für Leasingobjekte mit Anschaffungswerten unter 5.000 USD oder für Nutzungsverträge über Wirtschaftsgüter, die dem Kunden nicht direkt zugeordnet werden wie zum Beispiel Cloud-Lösungen“, so Schmidt zu uns.

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