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Die Gewinner der Zinswende

Patrick Baldia | Börsen-Kurier

Experten rechnen nicht mit einer längeren Aktien-Durststrecke.

Nach mehr als einem Jahrzehnt Stillstand ist es im Juli wieder so weit: Die EZB wird die Zinsen erhöhen. Konkret um 0,25 %-Punkte. Im September soll eine weitere Zinserhöhung folgen. Und auch Fed-Chef Jerome Powell meinte kürzlich, dass ein Zinsschritt um 0,50 bis 0,75 %-Punkte im Juli sehr wahrscheinlich sei. In anderen Ländern zeigt sich ein ähnliches Bild. Nur ein Beispiel: In Norwegen erhöhte die Zentralbank den Leitzins in der vergangenen Woche sogar um 0,50 %-Punkte auf 1,25 %. 

Was bedeutet das für Anleger? Für Kurt Schappelwein, Leiter Multi Assets bei Raiffeisen Capital Management, hat sich der Fokus der Märkte in den vergangenen Tagen verschoben. „Nachdem sich seit Jahresbeginn alle auf den bevorstehenden Zinsanstieg konzentriert haben, beginnen die Leute jetzt darüber nachzudenken, welche Auswirkungen der Zinsanstieg haben könnte“, sagt er im Gespräch mit dem Börsen-Kurier. Aufgrund der höheren Zinsen werde auch eine schwächere wirtschaftliche Entwicklung erwartet. „Daher werden die Unternehmensgewinne in den kommenden Monaten unter Druck geraten“, meint er.

„Nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Anleger sehr vorsichtig geworden sind“, so Erste-Group-Analyst Christoph Schultes. Er verweist auf die ATX-Risikoprämie, die aktuell bei 11 % liegt und damit so hoch wie in den vergangenen 20 Jahren nicht. Dabei wären die Konsensus-Schätzungen für den heimischen Leitindex für heuer höher, als sie für 2021 waren. „Das liegt auch daran, dass einige Unternehmen, wie etwa  OMV und Verbund, von den hohen Energie- und Stromkosten profitieren“, so Schultes. Gleichzeitig werde für 2022 ein sehr attraktives KGV von 7,3x und eine Dividendenrendite von 5,5 % erwartet. 

Bei Raiffeisen Capital Management geht man jedenfalls nicht davon aus, dass Aktien über Jahre schlecht performen werden. „Das wäre untypisch im Zyklusverlauf“, so Schappelwein. Sehr wohl glaube man allerdings, dass Aktien heuer nochmals unter Druck kommen werden und vielleicht 10 bis 15 % verlieren. Daher könnte man im 2. Halbjahr beginnen, mit Hinblick auf 2023, wieder Chancen wahrzunehmen - natürlich vorausgesetzt, es komme kein Gaslieferungsstopp oder ein noch schlimmeres Szenario. So könne man sich dann wieder mit Wachstumswerten wie Technologie, zyklischer Konsum oder Healthcare, die 2022 bislang eine starke Underperformance aufwiesen, beschäftigen. 

Techwerte gehören für Schappelwein jedenfalls nicht zu den Verlierern des Zinsanstiegs. Sie hätten sich heuer eher aufgrund hoher Bewertungen schlecht entwickelt. Tatsächlich: Bilanzmäßig sind die großen Player sehr gut aufgestellt, haben hohe Cashflows und müssen sich auch keine Sorgen über höhere Finanzierungskosten machen. „Zu den großen Verlierern steigender Zinsen zählen die Immobilienunternehmen, da sich der Abstand der Spitzenrenditen zu den Finanzierungskosten deutlich verringert hat“, erklärt Schultes. Entscheidend sei bei den einzelnen Playern in erster Linie der Verschuldungsgrad, die durchschnittliche Restlaufzeit der Finanzierung sowie der Anteil der fixverzinslichen bzw. abgesicherten Komponente. 

Zu den Profiteuren zählt Schultes Versicherungen und Banken. Bei Letzteren müsse man allerdings prüfen, ob Kunden Probleme bekommen könnten, ihre Kredite zurückzuzahlen. Auf der Empfehlungsliste finden sich mit RBI und Uniqa jedenfalls auch zwei Financials. Top-Picks sind auch Andritz, AT&S, OMV und Do & Co.


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